Liebe Greta Thunberg, ich war vom ersten Moment an beeindruckt von dem, was Sie tun. Schon als ich das erste Bild gesehen habe, wie Sie da vor dem schwedischen Parlament standen. In den Händen das berühmte Pappschild mit der Aufschrift "Skolstrejk för klimatet" ("Schulstreik für das Klima"), im Gesicht diesen entschlossenen Blick. Das ist eine junge Frau, die sich nicht so leicht von ihrem Weg abbringen lassen wird, dachte ich.
Ich weiß nicht, wie das in Schweden ist, aber in Deutschland neigen wir sehr dazu, die Dinge so lange durchzudiskutieren, bis von einer möglicherweise guten Idee nichts mehr übrig ist. Wir listen wahnsinnig gerne möglichst viele Aspekte eines Themas auf, bis wir es uns so komplex gequatscht haben, dass wir lieber erstmal gar nichts unternehmen. Können wir auch nichts falsch machen. Außerdem wollen wir auf keinen Fall Arbeitsplätze gefährden. Dieser letzte Satz passt immer, egal, ob es um Waffenexporte, Kohleausstieg oder frisierte Dieselmotoren geht.
Dabei gibt es hier sehr viele Leute, die es toll finden, dass sich plötzlich so viele junge Leute für die Zukunft des Planeten einsetzen. Aber eben auch sehr viele Bedenkenträger. "Jahaaa", sagen die, "Klima ist schon wichtig, aber dafür gleich die Schule schwänzen, das geht dann doch zu weit." Dass an unseren Schulen tausende Unterrichtsstunden wegen Lehrermangels ausfallen, sei hier nur am Rande erwähnt. Vielleicht ist das in anderen Ländern anders, aber hier gilt: Welt retten ist prima, aber bitte erst, wenn die Hausaufgaben gemacht sind und das Zimmer aufgeräumt ist.

Ein Kommentator in einer großen Wochenzeitschrift (und besorgter Vater von drei Kindern) findet übrigens, dass Sie mit Ihrem Satz "Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre" ein falsches Signal senden. Er will nicht, dass seine Kinder Angst haben müssen. "Sie sollen in einer Welt aufwachsen, in der wir Probleme erkennen und anpacken und nicht in Schockstarre oder Fatalismus verfallen, sondern in der wir glauben, dass die Menschen für die gewaltigen Probleme Lösungen finden", schreibt er. Ein Optimist offensichtlich.
Wir sind das Land, dessen Verkehrsminister ein Tempolimit auf den Autobahnen für einen "Angriff auf den gesunden Menschenverstand" hält. Wir sind das Land, in dem das Rasen vernünftig ist. Aber mal eben mit ein paar Pappschildern den Klimawandel stoppen? Absurd. Die Kommentare zu Ihrem Engagement reichen von Gönnerhaftigkeiten wie "Das ist eine Sache für Profis" (von einem Polit-Profi, der bislang noch nicht so richtig als Klimaschutz-Profi in Erscheinung getreten ist) bis hin zu Gehässigkeiten, die ich hier nicht zitieren will.
Das ist sicher einer der wichtigsten Effekte des gigantischen Aufsehens, das Sie erregt haben: Alle sogenannten Erwachsenen, die sich in irgendeiner Weise für wichtig halten, müssen sich zum Thema outen. Das Blöde ist nur: Die Wissenschaft gibt Ihnen, liebe Greta, Recht. Wenn wir nicht bald auf sehr vielen Ebenen sehr viel ändern, bekommen wir sehr bald ziemlich nasse Füße – im wahrsten Sinne des Wortes.
Natürlich gibt es Politiker, die den Klimawandel leugnen (oder zumindest dessen menschliche Ursachen), aber um die geht es hier nicht. Ihr Standpunkt ist keine ernsthafte Diskussion wert. Für alle anderen gilt: Um den "Schulstreik für das Klima" kommen sie nicht rum. Das heißt: Viele Volksvertreterinnen und Volksvertreter zeigen mehr oder weniger freiwillig Aspekte ihres Charakters, die zu einer Neubewertung ihrer Person führen könnten. Unsere Kanzlerin Angela Merkel hat das übrigens auf ihre unnachahmliche Art gelöst: "Ich unterstütze sehr, dass Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen und dafür kämpfen", hat sie in ihrem Podcast gesagt. Zum Thema Schuleschwänzen hat sie sich nicht geäußert.
Nun sind Sie also für den Friedensnobelpreis nominiert. Dazu gratulieren ich Ihnen, auch wenn es über 300 Mitbewerber gibt und auf der (geheimen) Liste ironischerweise auch Donald Trump stehen soll, der mächtigste Klimawandel-Leugner überhaupt. Dennoch: Die Nominierung ist ein weiterer Moment der Aufmerksamkeit für Ihre Arbeit. Und darum geht es schließlich: Aufmerksamkeit.
Meine Aufmerksamkeit haben Sie jedenfalls. Und meinen Respekt und meine Bewunderung. Fast hätte ich Ihnen noch geraten, sich nicht beirren zu lassen. Aber derlei Belehrungen, da bin ich sicher, haben Sie am allerwenigsten nötig.