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WÜRZBURG: Alice Schwarzer provoziert und erntet Kritik

WÜRZBURG

Alice Schwarzer provoziert und erntet Kritik

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    Alice Schwarzer spricht am Freitag (12.05.17) im Audimax der Universität am Sanderring in Würzburg. Der Hörsaal ist voll, Tenor von Schwarzers Rede ist die in ihren Augen mangelnde Bereitschaft arabischer Migranten, die gleichberechtigte Rolle der Frau in der deutschen Gesellschaft anzuerkennen.
    Alice Schwarzer spricht am Freitag (12.05.17) im Audimax der Universität am Sanderring in Würzburg. Der Hörsaal ist voll, Tenor von Schwarzers Rede ist die in ihren Augen mangelnde Bereitschaft arabischer Migranten, die gleichberechtigte Rolle der Frau in der deutschen Gesellschaft anzuerkennen. Foto: Daniel Peter

    Wenn sich Emotionen aufschaukeln, wenn sich die aufgeheizte Luft im Audimax der Würzburger Universität zum Schneiden anfühlt, die Temperatur trotz Klimaanlage steigt, wenn sich frenetischer Applaus, zum Zerreißen gespannte Stille und empörtes Gemurmel abwechseln, ist sie wieder da: Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin Alice Schwarzer tat, was sie am besten kann: Sie kämpfte. Sie bewegte. Sie analysierte. Sie pauschalisierte. Sie polarisierte.

    Die Journalistin, die ihre ersten Kindheitsjahre 1943 bis 49 im unterfränkischen Stadtlauringen verbrachte, war bereits zum zweiten Mal auf Einladung der juristischen Fakultät der Uni Würzburg für einen Gastvortrag in die Domstadt gekommen. Ihr Thema: „Sexualgewalt, Interkulturalität und Recht“ oder: Können Männer aus dem arabischen Raum die europäische Vorstellung von der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau akzeptieren? Nach rund einer Stunde fragte sie sich laut, ob sie sich dafür tatsächlich in den Zug von Köln nach Würzburg hätte setzen sollen.

    „Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem freiheitlichen Leben!“

    Eine Studentin hatte ihr vorgeworfen, den Unterschied zwischen Islam und Islamismus nicht deutlich genug gemacht zu haben und in ihrem Vortrag, der sich um falsch verstandene Toleranz und die Unterdrückung der Frau durch islamistischen Terror drehte, zu viel zu generalisieren. Ein Drittel der rund 500 dicht an dicht sitzenden, stehenden und schwitzenden mehrheitlich weiblichen Zuhörerinnen applaudierte. Die Reaktion des Publikums war ein Affront für die 74-Jährige, die daraufhin über nahezu jede kritische Frage mit der Ironie eines Fernsehprofis hinwegfegte. Zitat von Alice Schwarzer auf die Frage nach dem Sinn des Burkaverbots: „Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem freiheitlichen Leben!“

    Die Feministin behauptete ihre Führungsrolle. Notfalls auch mit verbalen Attacken auf die Fragenden „Ich sehe Ihre bloßen Arme, Ihre roten Haare, genießen Sie das.“ Seitens der Studentinnen erntete sie Diffamierungen: „Ich halte Sie für eine Rassistin.“ Alice Schwarzer fühlte sich missverstanden. Der eigentliche Inhalt Ihres Vortrags geriet in den Hintergrund. Zu emotional aufgeladen war die Atmosphäre. Zu viele widersprüchliche Gefühle hatte die Journalistin mit teils drastischen Bildern in die Gedanken ihrer Zuhörer gepflanzt. Die Geister, die sie rief, konnte sie nicht mehr einfangen.

    Mehr als 100 000 Frauen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft

    Dabei hätten sich in der Sache junge wie alte Feministinnen einig sein müssen: Dass es ein Skandal ist, wenn Frauen im 21. Jahrhundert in vielen Ländern immer noch aus dem öffentlichen Leben verbannt, von Männern gewaltsam verschleiert und unterdrückt werden. Dass 2015 über 100 000 Frauen in Deutschland Opfer ihrer gewalttätigen Ehemänner, Freunde oder Ex-Partner wurden und 331 von ihnen starben. Dass in der Silvesternacht in Köln 2015 mehr als 600 Frauen sexuell belästigt wurden.

    Alice Schwarzer spricht am Freitag (12.05.17) im Audimax der Universität am Sanderring in Würzburg. Der Hörsaal ist voll, Tenor von Schwarzers Rede ist die in ihren Augen mangelnde Bereitschaft arabischer Migranten, die gleichberechtigte Rolle der Frau in der deutschen Gesellschaft anzuerkennen.
    Alice Schwarzer spricht am Freitag (12.05.17) im Audimax der Universität am Sanderring in Würzburg. Der Hörsaal ist voll, Tenor von Schwarzers Rede ist die in ihren Augen mangelnde Bereitschaft arabischer Migranten, die gleichberechtigte Rolle der Frau in der deutschen Gesellschaft anzuerkennen. Foto: Daniel Peter

    Alice Schwarzer ging es in ihrem Vortrag aber nicht nur um die von Männern ausgeübte Gewalt gegen Frauen, sondern „um eine neue Qualität dieser Gewalt“. Ihr Fokus lag auf einer Gewalt, die nicht versteckt in heimischen Schlafzimmern, sondern von Islamisten zur öffentlichen Demonstration männlicher Überlegenheit ausgeübt wird. Im Visier hatte sie die Männer, die die Gesetze der Scharia (religiöse Gesetze des Islam) über weltliches Recht stellen und die dabei sogar so weit gehen, ihre Frauen öffentlichkeitswirksam hinzurichten. Als Beispiel nannte sie die Gräueltat im November 2016 im deutschen Hameln, als ein Kurde versuchte, seine Frau, an ein Auto gebunden, zu Tode zu schleifen.

    Dieser Fall reichte für sie aus, in einem geschichtlichen Diskurs die ganz große Schleife zu ziehen: Von der Unterdrückung der Frauen durch Islamisten im Iran, in Tschetschenien, Algerien und Afghanistan bis hin zu... Deutschland. Wer sich hier noch verwundert die Augen rieb, erfuhr von Alice Schwarzer, dass die Scharia angeblich unsere Gesellschaft, unsere Medien und die Universitäten längst unterwandert habe.

    Feministin sprach über den alltäglichen islamistischen Terror

    Islamistische Terroranschläge in Deutschland seien nur die Spitze des Eisbergs. Das größere Problem sei die Unterdrückung der Frau, die von offiziellen Islamverbänden wie dem Zentralrat der Muslime oder Ditib propagiert werde. Diese Verbände würden von Saudi-Arabien oder der Türkei finanziert. Schwarzer ist sich sicher, dass sie sowohl die Gleichberechtigung von Frauen und Männern als auch den Rechtsstaat in Frage stellen. Ihre ersten Opfer seien die mehrheitlich demokratisch gesinnten Muslime. Die Schuldigen für die Misere hat sie schnell ausgemacht: Es sind die Linken und die Grünen mit ihrer falsch verstandenen Toleranz. Und nicht zu vergessen die Studenten, die die „Anti-Rassismus-Flagge“ hissen.

    Um ein möglichst großes Medienecho zu bekommen, machte es die Herausgeberin der Zeitschrift „Emma“genau richtig. Sie spitzte zu. Sie war eindeutig. Dafür zahlte sie den Preis starker Stereotypisierung und Generalisierung. Das Böse ist für Alice Schwarzer der politisierte Islam, der nichts mit dem religiösen Islam zu tun habe. Vielmehr sei der Glaube nur ein Vorwand, um männliche Machtstrukturen herzustellen.

    Die Konsequenz: Schon das Kopftuch ist für Alice Schwarzer ein rotes Tuch, ein Symbol der weiblichen Unterdrückung durch männliche Einflüsterer. Ihre Lösung: Im Sinne der Moral unserer Mehrheitsgesellschaft müssten sich auch religiöse Minderheiten einer laizistischen Gesellschaft unterordnen. Alles andere sei falsch verstandene Toleranz. Ihr eigenes Verständnis sei natürlich das Richtige. Da macht sie keine Kompromisse. Diskutieren und experimentieren sind unerwünscht. Dass sich in einer liberalen Gesellschaft oft erst in der Praxis oder vor Gericht herausstellt, was eine freie Gesellschaft dulden will und wann ein Grundrecht hinter einem anderen zurücktreten muss, ist ihrem, fast schon fanatischen, Rationalismus fremd.

    Schwarzer verglich die Massenvergewaltigungen am Tahrir-Platz mit den Übergriffen betrunkener Flüchtlinge am Kölner Hauptbahnhof. Dabei hatten Aktivistinnen in Ägypten die Ereignisse am Tahrir-Platz als gezieltes, politisches Instrument der Einschüchterung und Machtdemonstration bezeichnet. Schwarzer verglich Äpfel mit Birnen, warf alles in einen Topf: Zwangsverschleierung, Sharia, Faschismus und Burka, Kopftuch tragende Lehrerinnen, junge Mädchen, die nicht am Schwimmunterricht in der Schule teilnehmen und männliche Schüler, die ihrer weiblichen Lehrerin nicht die Hand schütteln.

    Vielleicht hat die Journalistin weltweit über zu viel unfassbar Schreckliches berichtet, angefangen bei ihrer Reportage 1979 aus dem Iran nach der Machtergreifung Khomeinis. Dort war unschuldigen Frauen zum Teil der Schleier mit Nägeln auf den Kopf geschlagen worden.

    Die Galionsfigur des Feminismus nimmt nicht mehr alle Feministinnen mit

    Seit 38 Jahren kämpft die Aktivistin und Buchautorin für Gleichberechtigung und Frauenrechte. Beachtliches hat sie erreicht. Sie wird nicht müde, ihre Erfolge, Lebenserfahrung und jahrelangen Anfeindungen vor den jungen Studentinnen zu schildern. Von älteren, feministisch sozialisierten Frauen wird sie verehrt. Alle Ausgaben ihres Magazins „Emma“ stehen in einer Art digitalem Museum im Internet. Ihr Platz als Galionsfigur des Feminismus ist längst reserviert. Wer Fragen zu feministischen Themen hat, solle „hier bitte nachlesen“.

    Bezeichnend für die Stimmung des Abends war die Aussage einer jungen Jurastudentin, die ihr Kopftuch nicht als politisches Symbol verstanden haben will: „Ich finde es traurig, dass ich, die ich mich als Feministin bezeichne, mich von Ihnen als Vorzeigefeministin nicht vertreten fühle.“

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