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WÜRZBURG: Das Problem mit Schwarz-Rot-Gold

WÜRZBURG

Das Problem mit Schwarz-Rot-Gold

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    Pegida-Demonstrationn in Würzburg.
    Pegida-Demonstrationn in Würzburg. Foto: Thomas Obermeier

    Ich stehe in Würzburg in einer Menschenmenge. Um mich herum wehen Deutschlandfahnen. Es ist die Nacht des 13. Juli 2014. Deutschland ist gerade in Brasilien Fußballweltmeister geworden. Überall weht es schwarz-rot-gold, und ich fühle mich gut.

    Wenige Monate später.

    Ich stehe in Würzburg in einer Menschenmenge. Um mich herum wehen Deutschlandfahnen. Es ist Montagabend. Deutschland wurde gerade von einem Redner auf der Wügida-Kundgebung als „Abladeplatz für ausländischen Geburtenüberschuss“ bezeichnet. Überall weht es schwarz-rot-gold, und ich fühle Beklemmung.

    In den letzten Monaten ist etwas kaputt gegangen. Etwas, was es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vor dem Jahr 2006 gar nicht gegeben hat: Innerhalb von vier Wochen haben sich die Deutschen neu erfunden, damals, im Jahr 2006, als während der Fußball-WM „die Welt zu Gast bei Freunden“ war. Es war ein „schwarz-rot-geiler“ Sommer, in dem die deutsche Fahne plötzlich nicht mehr verdächtig war, sondern beinahe Serienausstattung eines jeden Autos. In dem das Singen der Nationalhymne keine rechte Veranstaltung vermuten ließ, sondern ein neues Wir-Gefühl vor den Spielen stiftete. Es war eine Entspannung im Umgang mit der eigenen Identität, mit dem eigenen Nationalgefühl eingetreten, wie sie die inzwischen zweite oder gar dritte Nachkriegsgeneration nie gekannt – und sich unbewusst doch immer gewünscht hatte.

    Das Ausland hat 2006 nicht etwa erschrocken auf die Deutschen geblickt, die plötzlich einen zwanglosen Fußball-Patriotismus an den Tag legten. Im Gegenteil. Das seit langem gute Image der Deutschen in aller Welt erlebte einen weiteren Schub. Deutschland präsentierte sich während der Heim-WM als weltoffener Austragungsort. „Die Welt zu Gast bei Freunden“ war nicht nur ein Motto. Gerade junge Franzosen oder Amerikaner – die aus der zweiten oder dritten Nachkriegsgeneration – hatten das Fremdeln ihrer deutschen Altersgenossen mit dem eigenen Land ohnehin nie verstanden.

    Ob man sich für Fußball interessiert, oder nicht, ob man die Fähnchen an den Autos mochte, oder nicht, und ob einem die Entwicklung geheuer war, oder nicht – unbestritten ist, dass sich etwas verändert hatte. Damals, 2006. Keine neun Jahre später dreht Pegida die Zeit zurück. Die schwarz-rot-goldene Fahne in der Hand wird gegen Moslems gehetzt, gegen Journalisten, gegen die Politik, irgendwie gegen alles – Verschwörungstheorien, eine sehr fragwürdige Darstellung der Weltgeschichte und verbale Entgleisungen inklusive.

    Wer dieser Tage die deutsche Fahne durch die Straßen trägt ist wieder verdächtig. Und das ist leider sehr gut nachvollziehbar. Das Demonstrantenspektrum reicht vom tatsächlich besorgten Bürger über vereinzelte Rechtsextreme bis hin zu klar identifizierbaren Hooligans in Bomberjacken. Dieses heterogene Sammelsurium braucht eben ein identitätsstiftendes Element: die Fahne.

    „Die Welt zu Gast bei Freunden“? Ein Motto, das bei Pegida nicht gilt. Stattdessen wird Ausgrenzung betrieben. Die Fähigkeit, das Eigene gut, ohne das Andere schlecht zu finden, gibt es bei Pegida nicht. Hätten die Fans der Nationalmannschaft nach dem WM-Finale so getickt, wie Pegida – sie hätten sich mehr über die Niederlage der Argentinier als über den Erfolg der eigenen Mannschaft gefreut. Die Reden der Würzburger Pegida-Demonstranten drehen sich seit Wochen nur darum, wie schlecht das Andere ist: die andere Meinung, die andere Kultur, das andere selbstbewusste deutsche Selbstverständnis. Vom Podium aus lechzen wahlweise selbst ernannte Islam-, Asyl- oder Weltwirtschaftsexperten nach Zustimmung aus der Woche für Woche kleiner werdenden Demonstrantenschar vor ihnen, die sich selbst „das Volk“ nennen.

    „Wir sind das Volk“, die Parole der DDR-Bürger aus der Wendezeit, okkupiert Pegida genauso wie die sogenannte Stauffenberg-Flagge: ein schwarzes Kreuz mit goldener Umrandung auf rotem Grund. Entworfen hat sie Josef Wirmer. Er gehörte zum engeren Kreis des Nazi-Widerstands und der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944. Neben schwarz-rot-goldenen Fahnen schwenkt man bei Pegida aber gerne auch andere Nationalflaggen. „Pegida findet überall in Europa statt“, behauptete Wügida-Hauptredner Simon Kaupert kürzlich. Eine rechte Bewegung, die sich von Deutschland aus auf ganz Europa ausbreitet? Ein unwahrscheinliches Szenario, gleichzeitig aber auch eine verantwortungslose Idee, die im Widerspruch zur Verantwortung der Deutschen steht, die ihnen die eigene Geschichte bis heute überträgt.

    Dabei könnte man mit dieser Verantwortung gut leben und als selbstbewusster Deutscher durch die Weltgeschichte laufen. Jedenfalls solange man die Erinnerung an die Gräueltaten des 20. Jahrhunderts als mahnendes Beispiel wachhält. Das Ausland sieht die Deutschen ohnehin traditionell besser als sie sich selbst. Pegida riskiert dieses Ansehen, das die Deutschen trotz allem haben. Und Pegida sorgt dafür, dass die deutsche Fahne als Symbol einen Bedeutungswechsel erlebt: Es besteht die Gefahr, dass Schwarz-Rot-Gold bald nicht mehr für ein weltoffenes, erfolgreiches Land steht. Sondern auch für eine Bewegung, die sich Ausgrenzung auf die Fahne geschrieben hat.

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