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„Der loyalste Mensch, den ich kenne“

Leitartikel

„Der loyalste Mensch, den ich kenne“

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    Anfang Dezember gewann Alexander Van der Bellen die Wahl zum neuen Bundespräsidenten von Österreich. Am heutigen Donnerstag wird er vereidigt. Sein Sohn Nicolai lebt auf einem Bauernhof im Hegau. Im Interview spricht er über seinen Vater, die Politik und die gesellschaftlichen Befindlichkeiten in Österreich.

    Frage: Herr Van der Bellen, Sie sind der Sohn des neuen österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Wie oft sind Sie in letzter Zeit auf den Wahlsieg Ihres Vaters angesprochen worden?

    Nicolai Van der Bellen: Schon oft. Es haben viele Menschen mitgefiebert.

    Haben Sie damit gerechnet, dass Ihr Vater die Wahl gewinnt? Die Prognosen haben eher Norbert Hofer vorne gesehen.

    Van der Bellen: Sagen wir mal so, ich habe es sehr gehofft. Mehr Zuversicht hatte ich, als sich Frau Gertrude zu Wort gemeldet hat. Als ihre Botschaft innerhalb von fünf Tagen über drei Millionen Mal angeklickt wurde, dachte ich, vielleicht begreifen es die Menschen jetzt.

    Die Geschichte müssen Sie kurz erklären.

    Van der Bellen: Gertrude ist eine 89-jährige Frau, deren ganze Familie in Auschwitz umgekommen ist. Sie kam auf das Team meines Vaters zu und sagte, jetzt ist es wieder so weit, dass die versuchen, das Schlechteste im Menschen zum Vorschein zu holen, den Hass, die Missgunst. Die FPÖ hatte vom Bürgerkrieg gesprochen. Getrude hat den Bürgerkrieg in Österreich 1934 erlebt. Sie hat auf sehr einfache, sehr bewegende Weise klar gemacht, dass man solch eine Haltung nicht unterstützen kann.

    Wie werten Sie den Wahlausgang? Hat sich Österreich besonnen oder ist es nur mit einem blauen Auge davongekommen?

    Van der Bellen: Komischerweise beides. Wobei ich finde, man darf nicht alle, die Hofer, AfD, Le Pen oder Trump wählen, ins extrem rechte Eck stellen. Da sind viele, die berechtigtes Unbehagen an dem System haben und sich nicht anders zu helfen wissen. Ich finde es falsch, sich so zu äußern, aber ich kann es nachvollziehen. Aber es gibt in Österreich sicher einen harten Kern von 30, 35 Prozent, die auf FPÖ-Linie liegen, und das ist beängstigend. Gleichzeitig ist in diesem Wahlkampf etwas passiert, was ich noch nie erlebt habe: nämlich ein ungeheures ziviles, bürgerschaftliches Engagement.

    Zigtausende von Leuten, die eigene Videos gedreht und ins Netz gestellt haben, die kreativ wurden, die Theaterstücke geschrieben oder in der U-Bahn gesungen haben, die gar nichts mit Parteistrukturen zu tun hatten. Wenn davon auch nur ein Teil fortgeführt wird, dann hat Österreich wirklich die Chance, sich zu verändern.

    Die Probleme in Österreich, die der FPÖ auch zum Höhenflug verholfen haben, sind mit dieser Wahl nicht verschwunden. Was braucht es Ihrer Meinung nach?

    Van der Bellen: Mein Eindruck ist, dass in Österreich seit vielen Jahren politischer Stillstand herrscht. Dass SPÖ und ÖVP mehr mit der Verwaltung ihrer Pfründe beschäftigt sind als damit, etwas zu verändern. Wenn die Parteien das jetzt als Weckruf verstanden haben, dass die Menschen eine Veränderung erwarten, dann gibt es Hoffnung diesseits der Extremen. Wenn sie glauben, mit dem Sieg meines Vaters haben sie mitgewonnen und können so weitermachen wie bisher, dann wird es ganz, ganz schwierig. Die Arbeitslosigkeit ist in Österreich relativ hoch. Die Leute haben Abstiegsängste.

    Wie lange im Vorfeld wussten Sie, dass Ihr Vater kandidieren wollte?

    Van der Bellen: Es gab in Österreich einige, die schon ein Jahr vor der Wahl versucht haben, ihn zu überzeugen. Ich kann nicht sagen, wann seine persönliche Entscheidung gefallen ist. Ich habe im Herbst mit ihm darüber gesprochen und gesagt: „Persönlich rate ich dir ab, als Österreicher wünsche ich es mir.“

    Ihr Vater war ja 19 Jahre jung, als Sie zur Welt kamen. Wie haben Sie ihn als Vater in Erinnerung?

    Van der Bellen: Meine Eltern waren beide sehr jung. Damals war man erst mit 21 volljährig. Mein Vater hat immer schon sehr viel gearbeitet. Gleichzeitig hatte er aber, weil er an der Uni war, große Blöcke frei. Ich habe eigentlich erst im Nachhinein gesehen, wie viel wertvolle Zeit wir miteinander verbracht haben. Meistens waren wir im Kaunertal. Wir haben sehr viel zusammen in der Natur unternommen. Wir haben auch viel Karten gespielt, seit meiner Jugend mit kleinen Einsätzen, damit man weiß, dass es um was geht.

    Jetzt hat Ihr Vater auch ein Buch geschrieben „Die Kunst der Freiheit“. Sie sind antiautoritär erzogen worden?

    Van der Bellen: Ich hatte sicher erheblich mehr Freiheiten als meine Schulkollegen in den sehr konservativen 60er-Jahren in Tirol. Die Familie protestantisch im tiefkatholischen Tirol. Eine linke Familie im schwarzen Umfeld. In meiner Erinnerung war es nicht so, dass es keine Regeln gab. Antiautoritär erzeugt, glaube ich, die falschen Bilder. Ich kenne regellos aufgezogene Kinder und ich finde viele davon unangenehm und ich hoffe, nicht so gewesen zu sein. Ich würde eher sagen: liberal mit großer Freiheit und großem Vertrauensvorschuss.

    Können Sie drei Eigenschaften nennen, die Ihren Vater besonders charakterisieren?

    Van der Bellen: Er ist wahrscheinlich der loyalste Mensch, den ich kenne. Ich schätze sehr seinen Sinn für Humor, der auch vor sich selbst nicht Halt macht. Vor humorfreien Menschen habe ich immer ein wenig Angst. Und ich schätze seine Bereitschaft, hinzuschauen, zu hinterfragen, infrage zu stellen, Antworten zu suchen, wenn es denn welche gibt. Ich glaube, so ein Wort wie „alternativlos“ käme meinem Vater schwer über die Lippen.

    Zur Person Nicolai Van der Bellen (53) ist der Sohn des designierten Bundespräsidenten Österreichs, Alexander Van der Bellen. Er lebt seit 2003 mit seiner Frau auf einem zehn Hektar großen Hof nahe Eigeltingen im Hegau im westlichen Bodenseegebiet. Dort züchtet er Hinterwälder-Rinder, eine vom Aussterben bedrohte Rasse. Auf dem Hof leben noch fünf Pferde und der Riesenschnauzer Belkis. Seit 2014 sitzt Nicolai Van der Bellen für die Freie Wählergemeinschaft im Gemeinderat. Er ist österreichischer Staatsbürger und hat einen fünf Jahre jüngeren Bruder (Florian), der mit seiner Frau und vier Kindern im Oberen Inntal lebt. Nicolai Van der Bellen wird am 26. Januar 2017 bei der Vereidigung seines Vaters zum Bundespräsidenten Österreichs dabei sein. Text und FOTO: Simone Ise

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