Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Meinung
Icon Pfeil nach unten
Leitartikel
Icon Pfeil nach unten

„Der Staat kann da nicht viel tun“

Leitartikel

„Der Staat kann da nicht viel tun“

    • |
    • |
    Holger Schmidt
    Holger Schmidt Foto: Foto: Ebner

    Seit 2007 arbeitet Holger Schmidt in der Redaktion „Reporter und Recherche“ des SWR und hat die Aufgabe des „ARD-Experten für Terrorismus und Innere Sicherheit“. Zudem unterhält Schmidt einen Terrorismus-Blog.

    Frage: Herr Schmidt, der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich warnt davor, dass sich unter den Flüchtlingen, die ohne Registrierung nach Deutschland gekommen sind, auch IS-Kämpfer befinden könnten. Hat er mit seiner Warnung Recht?

    Schmidt: Da kann man eigentlich nur spekulieren. Vielleicht sollten wir uns zur gedanklichen Kontrolle mal überlegen, was man tun würde, wenn man zum sogenannten „Islamischen Staat“ gehören und einen Anschlag planen würden. Eine Möglichkeit wäre doch, Kämpfer zu nutzen, die aus Deutschland oder Frankreich stammen. Sie wissen, wie es läuft, und wären schnell vor Ort. Die Überlegung von Herrn Friedrich zwänge hingegen die Kämpfer zu einer weiten beschwerlichen und lebensgefährlichen Reise. Sicherlich sind unter den Flüchtlingen Menschen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat zu tun hatten. Wir haben es mit der ganzen Bandbreite der Bevölkerung zu tun. Aber dass ein Flüchtling einen Anschlag verübt, halte ich eher für unwahrscheinlich.

    Wie groß schätzen Sie die Gefahr eines Anschlags des IS in Deutschland ein ?

    Schmidt: Das ist ausgesprochen schwer zu sagen. Anschläge drohen seit Jahren. Youssef el-Hajdib und Dschihad Hamad haben 2006 Bomben gebaut und in Deutschland in Regionalzüge gesteckt. Nur wegen eines technischen Fehlers, eines Denkfehlers der Attentäter, sind sie nicht explodiert. 2011 verübte Arid Uka dann tatsächlich einen Anschlag. Er fuhr an den Frankfurter Flughafen, um amerikanische Soldaten zu erschießen. Ich rechne fest damit, dass es weitere Anschläge geben wird. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn es passiert – und sollten trotzdem gelassen bleiben.

    Müssen wir damit rechnen, dass Flüchtlinge und Migranten Konflikte aus ihren Herkunftsländern mit nach Deutschland bringen?

    Schmidt: Natürlich. Sie bringen ihre persönliche Geschichte und die Erlebnisse ihrer Flucht mit, die sie oft traumatisiert und in ihrem Wesen verändert haben. Aber das können auch ganz kleine, persönliche Sorgen und Konflikte sein.

    Gilt das auch für interreligiöse Konflikte?

    Schmidt: Ja, durchaus. Teilweise waren diese Konflikte ja auch der Grund für die Flucht – zum Beispiel die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten. Einige Flüchtlinge sind Christen, viele sind Muslime, manche gehören radikaleren muslimischen Glaubensrichtungen an. Das sind Herausforderungen, die in den kommenden Monaten und Jahren auf unsere Gesellschaft zukommen.

    Was halten Sie davon, die Flüchtlinge je nach Glaubensrichtung getrennt unterzubringen?

    Schmidt: Ich bin nicht dafür, dass man die Flüchtlinge getrennt unterbringt. Denn Ziel ist es ja, dass sich alle diese Menschen mittelfristig in die Gesellschaft integrieren. Mit Trennung wird man das nicht erreichen. Dass die Unterbringung der Flüchtlinge bei den aktuellen Bedingungen nicht konfliktfrei ablaufen kann, sollte aber niemanden wundern.

    Es gibt Warnungen, dass Salafisten in den Unterkünften um Nachwuchs werben. Wie ernst sind diese zu nehmen?

    Schmidt: Ich bin sicher, dass das so ist, da ich selbst in München im Umfeld des Bahnhofes entsprechende Gruppen beobachtet habe. Das Problem beim Salafismus ist aber, dass es eine sehr große Bandbreite gibt. Zu denken, jeder Salafist wäre gleich ein zu einem Anschlag bereiter Terrorist, greift zu kurz. Dennoch vertreten Salafisten sehr radikale Vorstellungen, die mit unserer Gesellschaft nur schwer vereinbar sind, zum Beispiel wenn es um die Rechte von Frauen geht.

    Muss der Staat dies nicht entschlossener unterbinden?

    Schmidt: Der Staat kann da nicht viel tun. So eigenartig das klingen mag, die in Anführungszeichen „normalen“ Spielarten des Salafismus werden zunächst einmal unter die Glaubensfreiheit fallen. Jeder kann im Rahmen der geltenden Gesetze seinen Glauben so leben, wie er das für richtig hält – das gilt auch für das Christentum und das Judentum.

    Welche Rolle spielt das Internet bei der Rekrutierung möglicher Terroristen?

    Schmidt: Das Internet spielt eine riesige Rolle. Es ist faszinierend, wie Menschen, die sich einerseits mit dem Hölzchen die Zähne putzen, und auf der anderen Seite modernste Massenmedien nutzen und darin gar keinen Widerspruch sehen. Sie setzen sich in ihren Propagandaclips technisch brillant auf schauerliche Art und Weise in Szene. Und das verfehlt nicht seine Wirkung. Viele junge Menschen fühlen sich dadurch angesprochen. Die Botschaft ist aber eine ganze andere, sie ist rückwärtsgewandt und fordert zur Gewalt auf.

    Es sind also tatsächlich vor allem junge Menschen, die sich auf den Weg machen?

    Schmidt: Ja, es sind überwiegend junge Männer, die sich davon in den Bann ziehen lassen. Aber auch Frauen lassen sich verführen und geben dafür alle Rechte und Freiheiten auf. Sie sind tatsächlich bereit, nach Syrien zu gehen, einen Krieger zu heiraten und dann weitere Krieger zu gebären. Und ich karikiere hier nichts. Ich frage mich schon, was wir als Gesellschaft falsch machen, dass Menschen zu so etwas bereit sind und nicht merken, was sie aufgeben.

    Wissen die jungen Menschen denn, auf was sie sich einlassen?

    Schmidt: Dass jemand in ein Kriegs- und Krisengebiet zieht und nicht weiß, dass es da um Leben und Tod geht, kann ich mir nicht vorstellen. Andererseits scheinen tatsächlich manche Reisenden im Detail nicht zu ahnen, wie fürchterlich die Bedingungen vor Ort sind.

    Was sollte man mit IS-Aussteigern und Rückkehrern tun? Sollen sie vor Gericht?

    Schmidt: Vor Gericht müssen sie, wenn sie Straftaten begangen haben. Die Schwierigkeit ist nachzuweisen, was jemand in einem weit entfernten Krisengebiet getan hat. Das führt dann oft zu atemberaubend schwierigen Prozessen. Das Verrückte ist jedoch auch, dass dieser Krieg oft gut dokumentiert ist, zum Beispiel durch entsprechende Internetveröffentlichungen. Eine andere Frage ist, wie man mit den Menschen umgeht, die wieder freikommen. Das muss man dann individuell entscheiden und fragen: Wie gefährlich sind sie noch?

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden