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„Die katholische Kirche würgt die Komplexität des Lebens ab“

Leitartikel

„Die katholische Kirche würgt die Komplexität des Lebens ab“

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    Psychotherapeut und Kirchenrebell: Der suspendierte Priester Eugen Drewermann ist vor neun Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten.
    Psychotherapeut und Kirchenrebell: Der suspendierte Priester Eugen Drewermann ist vor neun Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten. Foto: Foto: Michael Gottschalk, Getty Images

    Die anglikanische Kirche in England lässt Frauen zum Bischofsamt zu. Und was macht die katholische Kirche unter Papst Franziskus? Wir trafen den katholischen Theologen, suspendierten Priester, Psychoanalytiker, Schriftsteller und Kirchenkritiker Eugen Drewermann in der Bildungsstätte Burg Rothenfels (Lkr. Main-Spessart). Dort stand Drewermanns aktuelles Buch „Wendepunkte – Was eigentlich besagt das Christentum“ im Zentrum des Interesses.

    Frage: Franziskus eilte nach Lampedusa und mahnte ein neues Flüchtlingsrecht in Europa an. Was kann er bewegen, Herr Drewermann?

    Eugen Drewermann: Franziskus hat auch gesagt, dass man in Syrien auf Waffen verzichten sollte. Und er hat versucht, durch eine gemeinsame Form des Gebets Gräben zwischen Juden und Palästinensern einzuebnen. Die Politik hört und reagiert darauf kaum. Die Bischöfe und viele Christen sind ohnehin zu träge, eigene Impulse zu setzen. Lieber verweisen sie auf den Papst. Der aber sollte nicht ihr Alibi bleiben.

    Der neue Papst sei „das frische Gesicht des Glaubens“, so das Hilfswerk missio. Er sorge für einen überfälligen Aufbruch der Kirche hin zu den Menschen von heute, so der BDKJ-Vorsitzende Dirk Tänzler. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie solche Aussagen hören?

    Drewermann: Mich wundert sehr, dass an Aufbruch der katholischen Kirche erst zu denken ist, wenn ein Papst es erlaubt und vormacht. Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, sagte zum Thema der Wiederverheiratung Geschiedener: Lernen wir Barmherzigkeit, der Papst geht uns voran. Ich frage Sie: Was ist nur mit Menschen los, die eine Autorität benötigen, um sich die Barmherzigkeit gestatten zu lassen?

    Was hindert denn Christen dran, selbst aktiv zu werden, aufzubrechen?

    Drewermann: Die Kirchenzucht, die in Jahrhunderten absolut abhängig gemacht hat. Der Dogmenzwang fordert Gehorsam, nicht Denken, und er nötig zu Unaufrichtigkeit: Man erklärt kostbare Bilder zur Deutung der Person Jesu und des menschlichen Daseins für historische Fakten und für Selbstmitteilungen Gottes, und dann erstellt man dogmatisch eine komplizierte Theologie vom Wesen Gottes selbst. Damit liest man nicht nur die Bibel methodisch falsch, man entfremdet und entmündigt auch die Menschen. Man nötigt sie seit der Aufklärung zu einer falschen Wahl zwischen Unglaube und Aberglaube. Der Protestantismus hat sich, Gott sei Dank, seit mehr als 500 Jahren in Richtung des Subjekts entwickelt, doch diesen richtigen Ansatz bis heute psychologisch nicht genügend durchgearbeitet. Protestanten getrauen sich seit der Reformation, gestützt auf die Bibel und ihr Wissen, das zu tun, was als evidente Wahrheit vor ihnen liegt. Im Katholizismus starrt alles auf die befehlsausgebende Zentrale, den Papst.

    Das Papstschreiben Evangelii Gaudium stellt eine pastorale und missionarische Neuausrichtung und eine Reform der Strukturen der Kirche in Aussicht. Klingt doch nicht schlecht, oder?

    Drewermann: Das klingt ganz ausgezeichnet und wäre auch überfällig. Entscheidend aber ist, dass ohne Eingeständnis der schweren Schuld, die die Kirche auf sich geladen hat, eine Änderung nicht glaubwürdig ist. Ich habe immer wieder mit Menschen zu tun, denen man beigebracht hat, sie kommen in die Hölle, wenn sie der Kirche widersprechen oder weil sie wichtige Gebote der Kirche nicht befolgt haben. Gebote, die sie zum Teil nicht befolgen konnten. Wer kann schon versprechen, dass eine Ehe hält 'bis dass der Tod uns scheidet'. Die Kirche tut Menschen bitter unrecht, wenn sie das Gute gleichsetzt mit den tradierten Ordnungen ihrer Moraltheologie. Sie reduziert die Wahrheit Gottes auf Dogmen, die allzu oft Menschen voneinandertrennen statt sie zusammenzuführen. Sie übt Gewalt aus, wo Freiheit herrschen müsste, sie will Zentralismus und Unterwürfigkeit. Mit all dem müsste Schluss sein.

    Ende 1991 haben Sie in einem „Spiegel“-Interview gesagt: Am Zölibat zum Beispiel kann die Kirche nur noch ein paar Jahre festhalten, dessen bin ich völlig sicher. Das ist jetzt 23 Jahre her.

    Drewermann: Man sieht ja, wie richtig das ist, an dem dramatischen Priesterschwund. Hinter der Zölibatsforderung steht etwas, was schon Gregor VII. im 11. Jahrhundert begriffen hat. Wer imstande ist, das lyrischste Gefühl der menschlichen Seele zu kontrollieren, die Liebe, der kontrolliert das Denken und die ganze Person. Der Gehorsam im Glauben, das Nachsprechen vorgegebener Formeln, die kirchlichen Treuesätze sind eine ständige Kasernierung und Sklaverei. Das Allernormalste ist verboten: dass ein Mann eine Frau liebt. Wenn Jesus irgendwas gewollt hat, dann doch, dass Menschenliebe und Gottesliebe absolut identisch sind.

    In die Diskussion, wie man mit den wiederverheirateten Geschiedenen umgehen soll, ist jetzt Bewegung gekommen. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, schlägt die massenweise Ungültigerklärung der Ehen vor. Was sagen Sie zu der Diskussion?

    Drewermann: Partner können sich im Grunde bei der Eheschließung nur sagen: Ich möchte Dich lieben und Du bist das Glück meines Lebens, wie ich es jetzt sehe. Sollte sich aber nach 20 Jahren Ringens miteinander zeigen, dass der Deifi drin ist in der Ehe, wie man in Bayern sagt, dann ist es besser, wenn man auseinandergeht, statt sich endlos zu quälen im Kirchenauftrag. Und dann muss ein Neuanfang möglich sein. Dann sollte die Kirche den Rückschluss ziehen, dass das, was sie als Sakrament bezeichnet, womöglich gar nicht erst zustande kam. Die Kirche müsste generell darauf verzichten, im Rahmen der Moraltheologie und des Kirchenrechts Menschen einzuordnen und nach starren Regeln von außen zu bewerten. Da hätten wir im Handumdrehen eine Menge von Anwendungsfällen. Denken Sie an die katastrophale Diskussion in der Abtreibungsfrage, denken Sie an die Frage der Sterbehilfe jetzt. Die katholische Kirche sagt, sie verteidige das Leben, sie verteidigt die Treue und den Anstand. In Wahrheit würgt sie aus Angst, mit vorgefassten Standpunkten die Komplexität des Lebens ab.

    Papst Franziskus wünscht sich „eine arme Kirche für die Armen“. Kommt jetzt der immense Immobilienbesitz unter den Hammer?

    Drewermann: Ich glaube nicht, dass die Kirche den Mut hat, ihre Ressourcen anzugreifen. Umso richtiger ist es, was der Papst gesagt hat: Eine reiche Kirche ist nicht hilfreich den Armen. Darin liegt auch eine schwere Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem, dem die Kirche ja in der ganzen Lebensform verbunden ist. Ob es wirklich dahin kommt, dass wir lernen, eine Wirtschaftsordnung aufzubauen, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird, statt vor allem den Interessen der Kapitaleigner zu dienen, wage ich zu bezweifeln. Nötig wäre es. Außerdem gibt es nicht nur die soziale und politische Armut, vor allem in Mitteleuropa und Nordamerika grassiert die Armut der Seele. Wenn ich in Rio Pfarrer wäre, würde ich mich für die Slums interessieren. Hier bei uns interessiere ich mich für die psychische Not der Menschen, die nicht weiterwissen. Eigentlich sollte sich auch dafür die Kirche zuständig fühlen. Das wäre Seelsorge. Doch dafür bräuchten wir eine Integration der Psychoanalyse in die Hauptfächer der Theologie: in die Moral, Exegese und Dogmatik – ein tiefes Verständnis des Menschen, eine historisch ehrliche und heilsame statt fundamentalistische Lektüre der Bibel und gütiges Sprechen von Gott, wie Jesus es gewollt hat.

    Eugen Drewermann

    Der 74-jährige suspendierte Priester, Psychoanalytiker und Schriftsteller ist als kirchenkritischer Publizist regelmäßig in den Medien präsent. Drewermann wurde in Bergkamen geboren, studierte Philosophie in Münster und katholische Theologie in Paderborn, wo er 1966 zum Priester geweiht wurde. 1991 entzog ihm Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt die katholische Lehrbefugnis und im Januar 1992 die Predigtbefugnis. Im März 1992 folgte die Suspension vom Priesteramt. Ursache waren strittige Ansichten Drewermanns in Fragen der Moraltheologie und der Bibelauslegung. 2005, an seinem 65. Geburtstag, trat Drewermann aus der römisch-katholischen Kirche aus. Text: tito

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