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MILTENBERG/FRANKFURT: Eine Bilanz zu Deutschlands spektakulärstem Wirtschaftsprozess

MILTENBERG/FRANKFURT

Eine Bilanz zu Deutschlands spektakulärstem Wirtschaftsprozess

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    „Sitzend muss man ein Urteil finden“, sagt der Volksmund, um zu betonen, dass die Justiz sich in Prozessen Zeit nehmen muss, um zu einer Entscheidung zu kommen. So berechtigt der Spruch im Prinzip sein mag - den Beteiligten im S & K-Prozess muss er wie Hohn in den Ohren klingen. Vier Jahre saßen die unterfränkischen Protzmanager Stephan S. und Jonas K. in Untersuchungshaft, ehe jetzt ein Urteil fiel. Zweieinhalb Jahre plagte sich die Staatsanwaltschaft, um zu einer Anklageschrift in der Größe des New Yorker Telefonbuches (über 3000 Seiten) zu kommen. Seit 19 Monaten quälen sich Gericht, Ankläger und Verteidiger von Verhandlungstag zu Verhandlungstag – mit der Aussicht, in drei Jahren vielleicht am Ende, aber womöglich immer noch ohne ein Urteil zu sein.

    Dabei war es gerade hier wichtig, dass die Justiz Zeichen setzt: Die Angeklagten kultivierten lustvoll ihren Protzstil: Für Lug und Trug winkten als Lohn große Häuser, teure Autos, schöne Frauen und Partys – ein Leben wie eine Seifenoper. Nur die Erwartung, dass solches Verhalten irgendwann gnadenlos bestraft wird, wirkt abschreckend auf Nachahmer.

    Nun ist Recht gesprochen über die Protzmanager von S & K. Aber die Art, wie dieses Urteil zustande kam, weckt starke Zweifel: Haben die Anlüge-Berater, die Tausende von Kunden um ihr sauer Erspartes gebracht haben, bekommen, was sie verdienen? Oder ist die Justiz eingeknickt, weil die Materie sie überforderte und es am Ende nur noch darum ging, die Sache zu beenden – egal, wie? Die 3000 Seiten-Anklage war zu ausufernd und doch unvollständig. Kein Wunder, dass konfliktbereite Verteidiger viele Anknüpfungspunkte fanden, um das Verfahren zu verzögern und zu verschleppen. Im größten Wirtschaftsprozess Thüringens, dem ELIOG-Verfahren, plagt sich die Justiz seit 2015 ähnlich mit einer schwer zu verdauenden Materie – und Beschuldigten, die teilweise aus Unterfranken kommen.

    Dass es auch anders geht, hat das Landgericht Würzburg in vergleichbar komplizierten Verfahren bewiesen – zuletzt im Prozess gegen Helmut Kiener und die Anlagebetrüger bei Deltoton in Dettelbach (Lkr. Kitzingen). Auch da ging es um Schaden im dreistelligen Millionenbereich, Tausende von Anleger und Geschäfte über Kontinente hinweg. Aber es gab gut vorbereitete und strukturierte Anklageschriften. Also fielen in akzeptabler Zeit Urteile mit hohen Haftstrafen – ohne dass ein „Deal“ nötig war.

    Der S & K-Prozess trat ein Jahr lang auf der Stelle, die Staatsanwälte vergeudeten viel Kraft in kleinlichen Gefechten mit der Verteidigung, die das Gericht auf dem Weg zur Wahrheitsfindung nicht voranbrachten. Erst jetzt brachte ein neuer Staatsanwalt die Wende: Von Betrug war plötzlich keine Rede mehr, nur noch von Unterschlagung und überschaubaren Strafen. Im Gegenzug gab es plötzlich Geständnisse von Angeklagten, die sich für die Galerie zerknirscht zeigten, aber nun auf freien Fuß kommen. Das war der Beweis, dass die Justiz nicht so unbeweglich ist, wie ihr manchmal nachgesagt wird, sondern dass sie geradezu pragmatisch sein kann. Dennoch hatte man am Ende das Gefühl, nicht in einem Gerichtssaal zu sein, sondern auf einem juristischen Basar, auf dem die Gerechtigkeit mit Zugeständnissen erkauft werden muss. Das war Schadens-Minimierung mit erträglichem Gesichtsverlust: Aber ein Scheitern des S & K-Verfahrens oder gar Freisprüche wären ein viel verheerendes Signal gewesen.

    So muss der Fall, der knapp am Scheitern vorbei schrammte, auch ein Warnsignal an den Gesetzgeber sein: Die Strafprozessordnung steht mit manchen in die Jahre gekommenen Formalien den modernen Wirtschafts-Prozessen oft mehr im Weg als ihnen zu einem Ergebnis zu verhelfen. Nur ein Beispiel: Welchen Sinn hat es, wenn ein Staatsanwalt zu Prozessbeginn erst einmal Tausende von Seiten der Anklageschrift vollständig vorlesen muss, die jeder Prozessbeteiligte ohnehin vor sich liegen und gelesen hat - nur um einer veralteten Formalie zu genügen? Bei S & K dauerte allein das Monate. Man greift sich an den Kopf, wenn man sieht, wie ein geplagter Anklagevertreter wochenlang Listen mit Namen der Geschädigten und ihren Schaden aus Tabellen herunter beten muss, während alle anderen Prozessbeteiligten gegen den Schlaf ankämpfen. Solch sinnlosen Formalismus muss man streichen. Das wäre geschenkte Zeit, die man bei der Justiz verdient und braucht.

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