Für John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Berlin, war die Wahlnacht lang. Er zog von Wahlparty zu Wahlparty. Erst als in den frühen Morgenstunden des Mittwoch (mitteleuropäischer Zeit) das Ergebnis klar schien, ging er schlafen. Am Tag nach dem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen erklärt der gefragte USA-Experte, was Obamas Sieg für uns Deutsche bedeutet und was der wiedergewählte Präsident besser machen muss.
Frage: Barack Obama bleibt Präsident der USA. Was bedeutet das für Deutschland?
John Kornblum: Es bedeutet Sicherheit und Stabilität mit einem Präsidenten und mit einer Mannschaft, die man kennt und mit der man gut zusammengearbeitet hat. Der Präsident teilt die grundlegenden Ziele von Deutschland und Europa, zum Beispiel die internationale Zusammenarbeit, die Handelsliberalisierung oder die Entwicklung der Beziehungen zu Russland und China. Diese Ziele hat Romney abgelehnt. Seine Politik ist viel nationalistischer. Das wäre für Deutschland nicht gut gewesen.
Das Verhältnis zwischen Barack Obama und Angela Merkel ist nicht so eng wie das zwischen Angela Merkel und George Bush. Was kann Obama tun, um das zu ändern?
Kornblum: Man könnte genauso fragen, was Merkel tun kann, um das zu ändern. Ich jedenfalls glaube, dass das Verhältnis zwischen Merkel und Obama in Ordnung ist. Es ist etwas sachlicher. Weder Frau Merkel noch Obama sind so offene, lustige Typen wie Bill Clinton oder George Bush. Nicht das Verhältnis hat sich also geändert, sondern die Verhältnisse. Die Lage ist jetzt viel schwieriger als zum Beispiel zur Zeit der Clinton-Administration. Heute hat man sehr schwierige Fragen zu diskutieren. Man kann nicht immer derselben Meinung sein. Deutschland und die USA müssen jetzt vielleicht nur etwas energischer an den Problemen arbeiten und auch auf ein besseres Verständnis bauen.
Was halten Sie persönlich von Obamas Politik?
Kornblum: Ich finde seine Politik im Großen und Ganzen sehr gut. Er vertritt die Art von amerikanischer Politik, die ich gerne sehen würde und die ich auch unterstütze. Das heißt nicht, dass ich mit jedem Schritt einverstanden bin. Mit dem Kongress, der genauso viel Macht und Prestige hat wie der Präsident, hätte er zum Beispiel besser arbeiten können. Ich glaube, er ist ein bisschen zurückhaltend. Er ist wie Frau Merkel eher der analytische Typ.
Kann Obama die gewaltigen Wirtschaftsdefizite wieder ausbügeln?
Kornblum: Er kann sie überwinden. Er ist sogar sehr gut dabei. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Investitionen steigen, die Industrie wird wieder sehr gut und sehr stark aufgebaut. Obama ist auf dem Weg, und das ist genau der Punkt. Die Republikaner haben gesagt, er habe nicht gut genug gearbeitet, er habe nicht genug getan. Er hat gesagt: Ihr habt mir so einen Schlamassel hinterlassen, dass es länger dauert als vier Jahre, um das zu korrigieren. Ich finde, er hat recht. Jetzt wird er die Chance haben zu beweisen, ob er recht hat.
In den USA blickt man immer mehr auf die Wirtschaft in Asien. Verliert Europa für die Vereinigten Staaten an Bedeutung?
Kornblum: Nein, überhaupt nicht. Europa ist sehr wichtig für Amerika. Ich würde sagen, Europa verliert insgesamt seine Bedeutung, weil es jetzt eine sehr nach innen gerichtete Politik hat. Europa ist nicht mehr so präsent auf der Weltbühne wie – sagen wir vor zehn Jahren. Die große Gefahr ist nicht, dass Amerika das Interesse an Europa verliert, sondern dass Europa das Interesse an der Welt verliert. Und das ist, wie ich persönlich meine, eine gefährliche Entwicklung.