Frage: Wie fühlt sich einer, der von sich liest, er sei ein Todesengel?
Roger Kusch: Mit der Wortwahl kann ich nichts anfangen. Es geht ohnehin weniger um meine Person und mein Gefühl als um die Frage, wie die Menschen in Deutschland auf das Thema Sterbehilfe reagieren.
Wie reagieren sie denn?
Kusch: Sehr intensiv. Da ist großer Diskussionsbedarf.
Reagieren die Bürger anders als Politik und Medien?
Kusch: Ja. Alle Emails, Briefe, Telefonanrufe, die bei mir eingehen, sprechen eine eindeutige Sprache. Die Mehrheit Deutschen ist für mehr Selbstbestimmung am Lebensende, also für Sterbehilfe. Es gibt Umfragen, wonach drei Viertel der Deutschen sogar für aktive Sterbehilfe eintreten. Die geht weit über den durch mich begleiteten Suizid hinaus. Funktionäre aus Politik, Kirchen und Ärzteschaft aber haben Angst vor dem Thema Sterbehilfe und leugnen deshalb, dass dieses Thema in Deutschland eine Rolle spielt.
Man sagt Ihnen nach, Sie hätten einen Hang zur Selbstdarstellung.
Kusch: Ich finde es wenig originell, wenn mir die Medien vorwerfen, in den Medien präsent zu sein. Wenn ein Thema dort nicht aufgegriffen wird, findet es in Deutschland nicht statt. Ich kann nicht 80 Millionen Menschen einen Brief schreiben. Dass ich aus meiner Zeit als Senator in Hamburg weiß, wie das Geschäft mit den Medien läuft, ist ja nichts Ehrenrühriges.
Aber ein Provokateur sind Sie?
Kusch: Die Funktionäre aus Politik und Kirchen mögen sich provoziert fühlen. Zigtausende Menschen aber sind mit mir der Meinung, dass wir am Lebensende mehr Autonomie brauchen. Die fühlen sich nicht provoziert, sondern sind froh, dass das Thema endlich aufgegriffen wird.
Die Politik reagiert und plant ein Gesetz gegen gewerbsmäßige Sterbehilfe.
Kusch: Das wird auf keinen Fall kommen.
Was macht Sie so sicher?
Kusch: Der Gesetzentwurf der bayerischen Justizministerin Beate Merk war dem Wahlkampf in Bayern geschuldet. Sie wusste, dass der Entwurf verfassungswidrig ist und hat im Bundesrat die Quittung bekommen. Ich kenne unser Grundgesetz: Suizid und Suizid-Beihilfe werden auch künftig straflos bleiben. Und was die Kritik der Ärzte angeht, so kann ich nur sagen: Der Grund, warum ich mir dieses Thema auf die Fahnen geschrieben habe, liegt in erster Linie daran, dass das deutsche ärztliche Standesrecht in unmenschlicher Weise Ärzten Hilfe genau dort verbietet, wo sie am dringendsten wäre. Ein Arzt, der trotzdem beim Sterben hilft, riskiert seine berufliche Existenz, weil ihm die Approbation aberkannt werden kann. Frau Schardt zum Beispiel hat ihren Hausarzt in den höchsten Tönen gelobt. Sie musste aber hören, dass er ihr nicht beim Sterben helfen werde.
Die Frage ist doch, welche Kriterien einen Suizid akzeptabel erscheinen lassen. Helfen Sie auch einer 17-Jährigen mit Liebeskummer? Oder einem 40-jährigen, stark depressiven Familienvater?
Kusch: Entscheidend ist, dass die momentane Situation dessen, der Suizid begehen will, von einem anderem, der helfen soll und helfen will, als unabänderlich wahrgenommen wird. Beim jungen Menschen mit Liebeskummer spricht die Lebenserwartung dafür, dass er schon bald frisch verliebt sein kann. Beim 40-jährigen Familienvater spielt weniger die Frage der Unabänderlichkeit eine Rolle, als vielmehr der Verantwortung gegenüber seinem Umfeld. Wer Frau und Kinder hat, kann sich aus ethischen Gründen nicht einfach darüber hinwegsetzen, dass er Verantwortung für andere Menschen übernommen hat.
Es heißt, unser christlich-humanistisches Weltbild spreche gegen die Sterbehilfe.
Kusch: Auch ich fühle mich dem Christentum verbunden, und für mich ist die Frage recht einfach zu beantworten. Der Gott, an den ich glaube, will die Menschen nicht länger leiden lassen, als sie es ertragen.
Dem gleichen Ziel dienen Palliativmedizin und Hospizbewegung. Warum sind Sie Sterbehelfer statt Lebenshelfer, Herr Kusch?
Kusch: Hospizplätze, Palliativmedizin und Sterbehilfe stehen nicht im Widerspruch zueinander. Was Würde am Lebensende bedeutet, hat nicht die Allgemeinheit zu entscheiden, sondern jeder für sich. Dem einen mag ein Hospizplatz helfen, dem anderen eine höhere Dosis Morphium. Und ein dritter wäre glücklich, wenn er in ein gutes Pflegeheim dürfte, statt in ein schlechtes abgeschoben zu werden. Aber bei Frau Schardt lagen die Dinge anders: Sie hatte nicht etwa Angst vor einem schlechten Pflegeheim – nein, sie hatte sich frühzeitig entschieden, nie und nimmer auch nur ihren Fuß in ein Pflegeheim zu setzen.
Warum bleibt das Video vom Tod der Frau Schardt unter Verschuss?
Kusch: Die Aufzeichnung des Geschehens war als Beweissicherung für ein potenzielles Strafverfahren nötig. Der Respekt vor Frau Schardt verbietet eine Veröffentlichung.
Machen Sie ein Geschäft mit dem Tod?
Kusch: Ich habe von Frau Schardt kein Geld bekommen.
Aber ihr Sterbehilfeverein profitiert?
Kusch: Das Wort Profit ist nur dort zulässig, wo jemand aus Gewinnstreben handelt. Wer Pizzas für fünfzig Cent herstellt und für zwei Euro verkauft, der macht bei jeder Pizza einen –Euro fünfzig Profit. Der Verein Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V. hat ausschließlich Öffentlichkeitsarbeit zum Ziel. Als gemeinnütziger Verein kann er keinen Profit machen. Spenden, die unser Verein bekommt, sind kein Profit, sondern helfen uns, die deutsche Öffentlichkeit über das Themas Sterbehilfe aufzuklären.
Zur Person
Roger Kusch
Der frühere CDU-Politiker, Jahrgang 1954, war von 2001 bis 2006 Justizsenator in Hamburg und bei der Bürgerschaftswahl 2008 Vorsitzender und Spitzenkandidat der Partei Rechte Mitte HeimatHamburg. Kusch ist Gründungsmitglied des Vereins Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e. V.. Auf seiner Internetseite informierte er die Öffentlichkeit am 29. Juni, dass er den Suizid der 79-jährigen Würzburgerin Bettina Schardt assistiert hat.