Frage: Frau Mouskouri, mit welchen Gefühlen reisen Sie aus Griechenland ab?
Nana Mouskouri: Ich bin sehr traurig. Ich habe die vergangene turbulente Woche in meiner Heimat erlebt. Ich wusste, dass Griechenland unter der Oberfläche viele Probleme hat. Aber jetzt bricht das alles plötzlich sehr abrupt auf.
Kam das wirklich unerwartet?
Mouskouri: Nein, natürlich nicht. Wir alle ahnten, dass sich da etwas anbahnt. Was wir jetzt erleben, ist das Ergebnis von Fehlentwicklungen vieler Jahre: die Regierungen, die sich abwechseln, aber nicht wirklich erneuern, die Skandale, die gedeckt werden, weil alle in sie verwickelt sind. Ich bin vollkommen enttäuscht von der griechischen Politik.
Haben die Griechen über ihre Verhältnisse gelebt?
Mouskouri: Es gab Zeiten, da haben sie hart gearbeitet. Aber heute glaubt jeder, er habe Ansprüche. Alle melden Forderungen an, aber keiner will Verpflichtungen und Verantwortung übernehmen. Immer ist der andere schuld. Leider ist das die vorherrschende Mentalität. Nehmen Sie das 14. Monatsgehalt, dessen Kürzung jetzt auf so viel Protest stößt: Dieses 14. Monatsgehalt hätte es nie geben dürfen! Wieso glauben wir uns etwas leisten zu können, was es in keinem anderen Land Europas gibt?
Kann diese Krise wie ein heilsamer Schock wirken?
Mouskouri: Das hoffe ich, und das sollte so sein. Aber ich fürchte, die Reaktionen der Menschen sagen etwas anderes: die Streiks, die Proteste – die Leute revoltieren. Und das ist kein Wunder, denn die Sparmaßnahmen treffen ja auch die kleinen Leute. Die müsste die Regierung stärker schützen.
Was wäre denn eine gerechte Lösung?
Mouskouri: Das weiß ich auch nicht. Vielleicht sollten in dieser Krise alle Politiker auf die Hälfte ihrer Bezüge und auf ihre Dienstwagen verzichten.
Sie haben eine persönliche Geste gemacht: sie spenden dem Staat Ihre Pension als frühere Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Aber das wird das Schuldenproblem Griechenlands wohl nicht lösen . . .
Mouskouri: (lacht) . . . nein, überhaupt nicht – das ist nicht mal ein Tropfen im Ozean!
Soll das eine Aufforderung an andere sein?
Mouskouri: Es ist nun mal eine symbolische Geste. Ja, ich verstehe das tatsächlich als Anregung. Wir sollten mehr Gemeinsinn zeigen. Jeder muss sich fragen, ob er nicht etwas beitragen kann. Ich bin sicher: Es gibt viele große „Clowns“ in unserem Land, die diesem Land etwas zurückgeben könnten – einem Land, dem sie schließlich viel verdanken.
Sie waren vier Jahre im Europäischen Parlament. Das war ein kurzer Ausflug in die Politik – warum?
Mouskouri: Es war nicht meine Welt. Ich habe im Europaparlament erlebt, wie unaufrichtig und prinzipienlos Politik sein kann. Jedes Land in Europa verfolgt seine eigenen Vorteile statt für das gemeinsame europäische Interesse zu arbeiten. Ich konnte das nicht mitmachen. Ich hätte den Menschen, die mich gewählt haben, nicht mehr in die Augen sehen können. Ich glaube, es wäre gut, wenn es mehr Frauen in der Politik gäbe. Männer sind in der Politik oft sehr arrogant.
Haben Sie Ihr Land jemals in einer so schweren Krise erlebt?
Mouskouri: Ich nicht. Aber wahrscheinlich meine Eltern, während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Vielleicht kann man, was heute passiert, auch mit der Krise während des Studentenaufstandes am Polytechnikum 1973 vergleichen.
Viele Griechen fühlen sich jetzt von den Europäern an den Pranger gestellt und ungerecht kritisiert.
Mouskouri: Das höre ich auch. Viele Griechen sagen mir: Die Ausländer hassen uns! Das ist doch Unsinn. Ich sage den Menschen: Hört auf das, was man im Ausland über uns sagt. Sie meinen es gut mit uns. Als ich das erste Mal nach Deutschland ging, Anfang der 60er Jahre, gab es dort einen Kinofilm über Griechenland mit dem Titel „Traumland der Sehnsucht“ – kann es ein schöneres Kompliment geben? Gerade die Deutschen lieben Griechenland sehr.
Was wird aus Griechenland? Sind Sie pessimistisch?
Mouskouri: Nein, ich bin zuversichtlich – wir Griechen sind immer optimistisch. Im Moment sehen die Menschen das vielleicht noch parteipolitisch – als Konservative, Sozialisten oder Kommunisten. Aber wenn sie begriffen haben, wie dramatisch die Lage wirklich ist, dann werden alle zusammenstehen und an einem Strang ziehen.
Nana Mouskouri
Mit über 250 Millionen verkauften Tonträgern ist die Griechin Nana (Ioanna) Mouskouri nach der US-Pop-Ikone Madonna die zweiterfolgreichste Sängerin aller Zeiten. In Deutschland wurde sie Anfang der 1960er Jahre durch ihren Hit „Weiße Rosen aus Athen“ bekannt. Von 1994 bis 1999 unternahm Mouskouri als Europa-Abgeordnete der konservativen Nea Dimokratia einen kurzen Ausflug in die Politik. Heute lebt die 75-Jährige überwiegend in Genf in der Schweiz.