An diesem Freitag endet die spektakuläre Reise der europäischen Weltraumsonde Rosetta. Airbus-Projektleiter Gunther Lautenschläger spricht über den Wert der Mission.
Frage: Sie haben neun Jahre Ihres Berufslebens in Rosetta investiert. Werden Sie da nicht traurig, wenn die Sonde jetzt für immer verstummt?
Gunther Lautenschläger: Es kommen gemischte Gefühle auf. Zum einen freue ich mich, dass wir eine so erfolgreiche Mission fliegen konnten und dass wir Weltraum-Geschichte geschrieben haben. Das ist ganz ganz super. Und es ist schön, dass wir das Ende von Rosetta zusammen mit dem Esa-Team in Darmstadt feiern können, das die Sonde zwölf Jahre lang ausgezeichnet geflogen hat. Zum anderen ist Rosetta eines unserer Babys, und wenn es jetzt abgeschaltet wird, kommt auch Wehmut auf. Über die Mission wurde ja auch ein Zeichentrickfilm produziert, den ich gerne bei Vorträgen in der Schule zeige. Das trug noch weiter dazu bei, dass Rosetta mir ans Herz gewachsen ist.
Warum muss Rosetta auf dem Kometen aufsetzen? Man hätte die Sonde doch auch einfach weiter um den Kometen kreisen lassen können.
Lautenschläger: Internationale Regeln legen fest, dass ein Satellit, wenn er nicht mehr betrieben wird, gezielt abgeschaltet werden muss. Das heißt, Rosetta muss auf dem Kometen landen. Es soll kein unkontrolliertes Fliegen im All geben.
Warum passiert das gerade jetzt?
Lautenschläger: Bis Ende September haben wir noch einen guten Funkkontakt zu Rosetta. Wenn wir noch warten würden, steht die Sonne genau zwischen der Erde und der Sonde, und dann bricht der Funkkontakt ab – und zwar für rund vier Wochen. In der Zwischenzeit fliegt der Komet so weit, dass er rund 600 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt sein wird. Dort aber ist es so kalt, dass Rosetta einfrieren und unsere Funksignale nicht mehr erkennen würde. Und ein zweiter Winterschlaf, ähnlich wie wir ihn mit Rosetta auf ihrer Reise vorgenommen haben, macht wenig Sinn, da die Ressourcen der Sonde zu Ende gehen.
Wie lange müsste man dann auf Rosetta warten?
Lautenschläger: Es würde zweieinhalb Jahre dauern, bis die Sonde vom Jupiter her kommend auf ihrer elliptischen Kreisbahn wieder in Sonnennähe ankäme. Der Winterschlaf von Rosetta war ja die brillante Idee eines Airbus-Mitarbeiters, die die Mission überhaupt erst ermöglicht hat. Ziel war, mit geringstem Energieaufwand und daher auch ohne Funkkontakt zur Erde in der Kälte von minus 273 Grad Celsius zu überleben. Die geringe Energie der Solarpaneele musste in eine Art Heizung investiert werden. So konnte bei Rosetta die Innentemperatur bei über Null Grad gehalten werden. Dieser Winterschlaf ist uns erstmals in der Geschichte der Raumfahrt auch gelungen.
Profitieren weitere Satelliten-Missionen von Rosetta?
Lautenschläger: Allerdings. Die Missionen Mars-Express und Venus-Express haben von Rosetta profitiert. Das wird auch bei der Juice-Mission der Fall sein, die 2022 startet und Jupiter-Monde aus einer Umlaufbahn erforschen soll. Die Solarpaneele müssen da noch größer sein, weil Juice bei den Monden operationsfähig sein muss, um Messungen und Analysen durchzuführen. Zusätzliche Gedanken müssen wir uns machen, weil Jupiter sehr viel Protonen- und Röntgenstrahlung hat. Das bedeutet Gefahr für den Bordcomputer, weil er schon durch geladene Teilchen zum Absturz gebracht werden könnte.
Beim Aufsetzen von Rosettas Tochtersonde Philae auf dem Kometen gab es Probleme.
Lautenschläger: Die Wissenschaftler haben geglaubt, dass die Oberfläche wie fluffiger Schnee ist und die drei Standbeine entsprechend konstruiert, damit sie nicht im weichen Untergrund einsinken. Dann erwies sich die Oberfläche als knochenhart. Dennoch: Es wurde verhindert, dass die Sonde abgeprallt und weggeflogen ist. Sie machte einen Purzelbaum und blieb an einem Kraterrand hängen. Durch den Überschlag konnte die Sonde das Magnetfeld-Messinstrument quasi eichen und man wusste: Die magentischen Messungen sind hundertprozentig exakt! Die Sonde sollte zwar hämmern und bohren im Gestein und ist nicht durchgekommen – aber auch das ist ein Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft: wie hart ein Komet sein kann. Philae hat mit seiner chemischen Batterie wie erwartet 60 Stunden lang funktioniert und Daten gesammelt. Pflicht erfüllt, die Kür blieb aus.
Wie lange dauert es, bis ein Funksignal von der Erde bei der Sonde ankommt und eine Antwort eintrifft?
Lautenschläger: 40 Minuten. Zum Vergleich: Von der Erde bis zum Mond dauert es eine Sekunde, bis zur Sonne acht Minuten. Das ist wie wenn Sie ein ferngelenktes Auto steuern und sie auf ihrem Monitor sehen, dass es auf ein Hindernis zufährt. Ihr Bremsbefehl kommt aber erst 40 Minuten später beim Fahrzeug an. Zu spät!
Das heißt, die Sonde musste auch selbstständig handeln können?
Lautenschläger: Ja, sie war auf Autonomie hin konzipiert und hat viele Problemlösungen vorprogrammiert. Zum Beispiel würde sie reagieren, wenn sie eine Woche lang von der Erde nichts mehr hört. Dann sucht sie zunächst die Sonne, orientiert sich, richtet ihre Antenne auf ein halbes Grad genau auf die Erde aus und funkt ihr Hallo. Auf der Erde sind die Antennen immer auf Empfang.
Gibt es noch Potenzial für weitere Kometen-Flüge?
Lautenschläger: Wissenschaftlern schwebt eine weitere Mission zu Kometen vor, vielleicht im Jahr 2030. Dann läge der Fokus beim Landen – an mehreren Stellen wie bei einer Drohne, die hier und dort aufsetzen kann. Dann würde man Proben entnehmen und vielleicht auch wieder zur Erde zurückbringen. Auch diese Mission würde auf dem durch Rosetta erworbenen Wissen aufbauen. Das sind aber nur erste Ideen.
Rosetta kostete rund 1,3 Milliarden Euro – steht das im Verhältnis zum Nutzen?
Lautenschläger: Gar kein Zweifel. Rosetta ist eine europäische Mission und wir haben rund 750 Millionen Einwohner in Europa. Das macht rechnerisch knapp 1,80 Euro pro Bürger. Und das verteilt auf 20 Jahre. Wir hätten heute keine Telekommunikationssatelliten oder GPS, wenn nicht vor 60 Jahren mal eine einfache Sonde wie der Sputnik ins All geschossen worden wäre.
Zur Person Gunther Lautenschläger befasst sich seit 25 Jahren mit der Entwicklung von Wissenschaftssatelliten. Der studierte Elektrotechniker begann 1986 als Raumfahrt-Ingenieur bei der Dornier System GmbH. Ab 1996 gehörte er zum Projekt-Team für die Kometen-Sonde Rosetta. 2004 wurde er der industrielle Ansprechpartner für die europäische Raumfahrtagentur Esa und das Kontrollzentrum Esoc in Darmstadt. Ab 2008 war er Projektleiter für Rosetta. MIC