Führt Wladimir Putin einen verdeckten Krieg in Westeuropa? Russland-Experte Boris Reitschuster hat recherchiert – und erhebt in einem Buch brisante Vorwürfe gegen den russischen Präsidenten.
Frage: Ihr neues Buch heißt „Putins verdeckter Krieg“. Was steckt hinter dem Titel? Welche Strategie verfolgt Putin derzeit im Westen?
Boris Reitschuster: Putin hat sich nichts Neues einfallen lassen: Er hält sich an alte Methoden, die KGB und Stasi jahrzehntelang nutzten. Er hat sie lediglich etwas modernisiert. Das Problem ist, dass wir im Westen das nicht mehr durchschauen, weil wir die Geschichte vergessen haben. Da sind wir blind geworden.
Welche konkreten Methoden meinen Sie?
Reitschuster: Das ist zum einen Einflussnahme, indem man Parteien und Bewegungen in einem anderen Land unterstützt. Früher waren das linke Parteien, heute kommen rechte dazu. Ich sehe heute starke Einflüsse auf Die Linke und die AfD. Außerdem werden Protestbewegungen unterwandert, um sie zu instrumentalisieren. Früher hat man das mit der Friedensbewegung gemacht, heute funktioniert das zum Beispiel mit Pegida. Und man versucht die öffentliche Meinung zu manipulieren, etwa indem man Journalisten umwirbt oder Politiker für sich gewinnt.
Es geht sogar bis dahin, dass man Leute militärisch für Sondereinsätze in der Bundesrepublik ausbildet. Auch das gab es schon zu DDR-Zeiten. Das klingt nach Verschwörungstheorie, aber ein Blick in die Geschichtsbücher genügt – das ist alles belegt. Und Putin sagt selbst, er sieht sich in der Tradition des KGB. Insofern wäre es verwunderlicher, wenn er solche Methoden nicht anwenden würde.
Da stellt sich die Frage nach dem Motiv.
Reitschuster: Ich denke, wir haben es hier mit einem kolossalen Missverständnis zu tun. Putin sieht sich in einem Abwehrkampf: Er ist überzeugt – das zeigen seine Reden –, dass der Westen Russland attackiert, die Opposition unterstützt, Geheimdienstaktionen durchführt und die Revolution in der Ukraine organisiert hat. Im Gegenzug macht er also genau das, was er dem Westen vorwirft. Außerdem kann er sich keine friedliche Existenz leisten, wegen des mafiösen Charakters seines Systems. Das zeigen auch die „Panama Papers“, die die russischen Medien übrigens totschweigen. Damit die Leute in Russland nicht fragen, warum sie so arm sind, während eine Clique um Putin Millionen anhäuft, braucht er ein Feindbild.
Und dafür braucht er einen Konflikt wie jetzt. Deswegen sind auch keine Reformen möglich: Sowohl ein echter Rechtsstaat als auch Pressefreiheit würden dazu führen, dass man diese mafiösen Verbindungen aufdecken und juristisch verfolgen würde.
Lassen Sie uns noch einmal detaillierter auf die Methoden eingehen. Stichwort Parteienunterstützung: Warum AfD und Die Linke?
Reitschuster: Bei den Linken findet man eine Konstante: Ich habe Unterlagen, die zeigen, dass Die Linke von Anfang an eng mit Moskau verbunden war. Der neue Name der Partei ist irreführend, weil sie juristisch immer noch die SED ist. Es ist auch bis heute unklar, wo das Geld der SED hinkam. Es spricht vieles dafür, dass Die Linke bis heute enge Verbindungen nach Russland hat. Nach der Wende hat sich die Partei nie richtig von Moskau emanzipiert. Dabei hat Putin ein rechtes und erzkapitalistisches System errichtet, das Linken ein Graus sein müsste. Dennoch hält Die Linke eine Nibelungen-Treue zu Moskau.
Und die AfD?
Reitschuster: Bei der AfD hatte Russland sicher nicht von Anfang an Einfluss. Aber zu einem bestimmten Zeitpunkt hat Moskau entdeckt, wie viele Übereinstimmungen es gibt. Und warum war Russland für die AfD plötzlich ein Thema und der Euro nicht mehr? Parteivize Alexander Gauland war mehrfach in der russischen Botschaft und auf Einladung einer Stiftung eines Herrn Malofejew in Russland. Malofejew spielt wiederum eine Schlüsselrolle bei der Koordination rechter Bewegungen in Europa. Hier gibt es unzählige Querverbindungen. In ganz Europa hat Russland enge Verbindungen zu rechten Parteien, so finanziert Moskau etwa den rechtsextremen „Front National“ in Frankreich. Auch die Sowjetunion hat Parteien in anderen Ländern unterstützt, die gegen das jeweilige System waren.
Sie schreiben auch von Propaganda. Wie sieht die aus?
Reitschuster: Das funktioniert sehr vielseitig und intelligent auf psychologischer Ebene.
Hier findet mit alten KGB-Methoden und neuen Techniken amerikanischer PR-Agenturen ein Angriff an der Informationsfront statt: Leute werden bezahlt, um im Internet Meinungen zu verbreiten, sodass man glauben könnte, in der Bevölkerung kippt die Stimmung. Massiv wurden alte Netzwerke aktiviert: Plötzlich gibt es viele Bücher, die Putin verteidigen. Oder nehmen Sie das rechte „Compact“-Magazin, das sich plötzlich professionelle, teure Ausgaben und Internetseiten leistet – obwohl dort kaum Reklame zu finden ist. Und vor allem werden Fehlinformationen verbreitet, damit die Menschen glauben, es gibt keine Wahrheit mehr. Denken Sie an den „Fall Lisa“.
Überrascht es Sie, dass es in Deutschland sogenannte Putin-Versteher gibt?
Reitschuster: Ja. Es zeigt, dass wir nach Jahrzehnten in Frieden und Freiheit unseren demokratischen Kompass verloren haben. Aber es zeigt auch, wie gut die Propaganda fruchtet. Auf der anderen Seite gibt es keine Erdogan-Versteher – obwohl sich die beiden sehr ähnlich sind.
Sie sprechen auch von Geheimdiensten und „militärischen Sondereinsätzen“ – klingt unglaublich.
Reitschuster: Es gab schon zu DDR-Zeiten in Westdeutschland eine Kampfgruppe der DKP, die in Ostberlin für Sprengstoffanschläge, Morde und Sabotageakte ausgebildet wurde. Im Westen erfuhr man davon erst nach der Wende. Ob sie jemals in Aktion getreten ist, weiß man nicht. Heute gibt es das auch unter dem Deckmantel des Kampfsports: Leute – etwa 250 bis 300, vorwiegend mit russischem Hintergrund – bekommen in Moskau eine entsprechende Ausbildung im Untergrundkampf. Ich glaube nicht, dass sie bisher eingesetzt wurden und ich vermute, dass Putin das nur tut, weil er dieses Werkzeug wieder haben will. Aber ich halte es dennoch für gefährlich: Hier gibt es Verbindungen zu der russischen Rockergruppe „Nachtwölfe“ und organisierter Kriminalität, vor allem in die Drogen- und Türsteherszene.
Steht Deutschland bei alledem im Fokus?
Reitschuster: Ja. Deutschland gibt in der EU den Ton an, wenn es um die Russlandpolitik geht. Außerdem hat Angela Merkel als ehemalige DDR-Bürgerin eine herausragende Bedeutung für Putin: Sie ist die einzige westliche Staatsführerin, die das System Putin durchschaut, die seine Sprache spricht und die entscheidende Figur in Sachen Sanktionen. Vermutlich könnte Putin mit einem anderen Kanzler die Sanktionen beenden, darum hat er ein großes Interesse Merkel entscheidend zu schwächen.
Boris Reitschuster
Der 44-jährige Augsburger zog als Student nach Moskau. Nach einer Dolmetscher-Ausbildung arbeitete er als Deutschlehrer und Übersetzer. Gleichzeitig berichtete er für verschiedene deutsche Tageszeitungen aus Russland. Nach Stationen bei der „Augsburger Allgemeinen“ und den Presseagenturen dpa und AFP leitete er von 1999 bis 2015 das Moskauer Focus-Büro. Heute lebt Reitschuster als Publizist in Berlin. Für sein neues Buch „Putins verdeckter Krieg“ (erscheint am 15. April) hat Reitschuster unter anderem Dokumente eines westeuropäischen Geheimdienstes ausgewertet. Text: ben