Wolfgang Schäuble ist der amtierende Finanzminister. Ob der CDU-Politiker in der Großen Koalition noch einmal der Hüter der deutschen Finanzen werden wird, ist offen. Er würde das Amt erneut übernehmen, daran lässt Schäuble keinen Zweifel.
FRAGE: Einige Ihrer Parteifreunde fordern öffentlich: Wolfgang Schäuble muss Finanzminister bleiben. Stehen Sie zur Verfügung?
Wolfgang Schäuble: Wenn ich von der Bundeskanzlerin gefragt werden sollte, lehne ich nicht ab. Zutrauen würde ich es mir.
Es scheint aber weitere Aspiranten auf den Posten zu geben.
Schäuble: Die Entscheidung wird nach dem Mitgliederentscheid der SPD bekannt gegeben. So lange müssen sich alle Beteiligten gedulden.
Ein Blick auf den Koalitionsvertrag: 50 Milliarden Euro soll die Wunschliste kosten. Das kann doch nicht seriös gerechnet sein?
Schäuble: Der Koalitionsvertrag ist sehr seriös gerechnet. Es steht ausdrücklich drin: Bis auf die prioritären Maßnahmen müssen alle Maßnahmen aus den jeweiligen Politikbereichen gegenfinanziert werden. Die prioritären Maßnahmen belaufen sich exakt auf 23,09 Milliarden Euro für die vier Jahre. Und die sind bei normaler Konjunkturentwicklung ohne neue Schulden und ohne Steuererhöhungen zu finanzieren.
Es wirkt dennoch, als wären die SPD-Wünsche wie Ganztagsschulen gern unter Finanzierungsvorbehalt gestellt, während für die Mütterrente Geld da war.
Schäuble: Der Koalitionsvertrag ist ein fairer Kompromiss. Auch die 23,09 Milliarden für zusätzliche Maßnahmen erforderten einen langen, intensiven Diskussionsprozess mal zu zweit, mal zu fünft, mal zu acht bis wir uns am Ende morgens um halb vier einig waren. Die Vorstellungen lagen am Anfang viel weiter auseinander, wir haben uns aufeinander zubewegt. Wenn wir unsere Finanzpolitik so fortsetzen, können wir im Ergebnis höhere Steuereinnahmen erzielen, als mit Steuererhöhungen oder mit einer höheren Verschuldung.
Trotzdem rückt die Bundesregierung zwangsläufig nach links, weil Sie der SPD Zugeständnisse machen mussten. Wo liegt Ihre Schmerzgrenze?
Schäuble: Wir sind die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Ich glaube, wir haben die Mitte gut gehalten und mit den Sozialdemokraten eine Basis gefunden. Wahr ist aber auch: Unsere Politik ist von den Wählern bestätigt worden. Die Sozialdemokraten haben für ihre Vorschläge keine Mehrheit bekommen. Wir als Union können nicht in eine Regierung eintreten, ohne die Dinge zu erreichen, die für uns wichtig sind. Das ist jetzt die schwierige Führungsaufgabe der Sozialdemokraten, das den eigenen Anhängern und Mitgliedern zu vermitteln. Dafür muss man auch Respekt haben.
Haben Sie den Eindruck, dass die CDU-Basis das Verhandlungsergebnis akzeptiert?
Schäuble: Ich hatte nie einen Zweifel daran, dafür bin ich zu lange schon in der CDU. Wenn Sie die Veranstaltung verfolgt haben, werden Sie auch schwer einen anderen Eindruck gewonnen haben.
Es gab immerhin ein paar Fragezeichen, was vermisst wird – wie das Familiensplitting oder die Abschaffung der kalten Progression.
Schäuble: Beide Seiten haben verstanden, dass Ausgangspunkt das Wahlergebnis sein muss. Das gefällt uns logischerweise mehr als den anderen. Gabriel hat zu uns nach der Verhandlung morgens um halb sechs gesagt: Sie hätten ja gewusst, wie das Wahlergebnis ist, dass wir sie es in der Art, wie wir miteinander umgegangen seien, aber nicht hätten spüren lassen. Dafür wolle er sich bedanken. Das hat mir sehr gefallen. Man muss ja, wenn man vier Jahre miteinander regieren will, anständig miteinander umgehen. In vier Jahren werden wir wieder als politische Gegner Wahlkampf gegeneinander führen.
Manche sehen in Ihnen den Totengräber der FDP, weil Sie sie als Finanzminister am ausgestreckten Arm verhungern ließen. Würden Sie heute mit Blick auf die Mehrheiten manches anders entscheiden?
Schäuble: Die Ihrer Frage zugrunde liegende These teile ich überhaupt nicht. Ich denke, dass diejenigen, die so reden, etwas nicht verstanden haben. Wir haben in den letzten vier Jahren außergewöhnlich erfolgreich und gern mit der FDP zusammengearbeitet. Der Koalitionsvertrag von vor vier Jahren räumte der Einhaltung der Schuldenbremse den Vorrang ein. Wenn man das aber erreichen wollte, musste man die Politik machen, die wir betrieben haben. Wir haben mehr Wachstum gehabt, als wir je zu hoffen wagten. Daran hat die FDP einen großen Anteil. Das ist nicht entsprechend honoriert worden, aber nicht die Schuld von Einzelnen. Ich bedaure, dass die FDP nicht im Bundestag ist. Hätte sie 0,5 Prozent mehr bekommen, wäre sie es.
Können Sie die Sozialdemokraten verstehen, die fürchten, ebenfalls am ausgestreckten Arm zu verhungern?
Schäuble: Der Koalitionsvertrag vor vier Jahren ist ohne die Mitwirkung eines Bundesfinanzministers entstanden. Bei diesem Koalitionsvertrag war es anders. Ich habe gesagt, ich nehme meine Verantwortung wahr, solange ich Finanzminister bin. Ich habe die Arbeitsgruppe zusammen mit Olaf Scholz, dem Hamburger Bürgermeister, geleitet. Wir haben die finanzpolitischen Ziele im Koalitionsvertrag gemeinsam klar formuliert. Da gibt es keine Missverständnisse.
Was passiert, wenn die SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag Nein sagen sollten?
Schäuble: Ich bin zuversichtlich. Der Vertrag ist so gut, dass ich finde, ein vernünftiger Sozialdemokrat kann dem zustimmen. Aber ich kann nachvollziehen, dass die SPD nach diesem Wahlergebnis gesagt hat: Wir müssen unsere Basis einbinden. Deswegen warten wir das ab.
Wenn die SPD-Basis verweigert: Klopfen Sie dann noch mal bei den Grünen an?
Schäuble: Ach Gott, wissen Sie: Für einen Politiker ist es ein hoffnungsloses Unterfangen, Was-wäre-wenn-Fragen zu beantworten.
Wolfgang Schäuble
Der CDU-Politiker aus Baden-Württemberg gehört zu den „alten Hasen“ im Polit-Geschäft und ist einer der herausragenden Unionspolitiker. Der 71-Jährige stammt aus Baden-Württemberg und ist seiner Heimat trotz seiner Arbeit in der Bundeshauptstadt sehr verbunden. Geboren 1942 in Freiburg, wohnte Schäuble bis vor wenigen Jahren in Gengenbach. Heute lebt er mit seiner Frau Ingeborg in Berlin, tritt bei Bundestagswahlen aber noch immer für die CDU im Wahlkreis Offenburg an. Auch 2013 war er der Spitzenkandidat der Südwest-CDU. Schäuble ist evangelisch, verheiratet und hat vier Kinder. Seine Tochter Christine ist mit Baden-Württembergs CDU-Chef Thomas Strobl verheiratet. TEXT: GAR/Foto: DPA