Doch seitdem scheinen die Probleme eher größer geworden zu sein. „Rio+20“ soll nun Nachhaltigkeitsziele definieren und die Umstellung auf eine „Green Economy“ vorantreiben. Umweltexperte Reinhard Loske bezweifelt aber, dass darin die Lösung liegt.
Frage: Umweltverbände und Hilfsorganisationen sahen „Rio+20“ schon als gescheitert, bevor der Gipfel begonnen hatte. Sie sind ähnlich pessimistisch?
Reinhard Loske: Entweder der Gipfel wird völlig scheitern oder nur ganz minimalistische Erfolge bringen. Im gegenwärtigen Umfeld der Finanzkrise ist das aber nicht verwunderlich. Die Ziele des Gipfels werden überlagert. Es ist ein schlechtes Signal, dass US-Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel nicht teilnehmen. Beim Gipfel vor 20 Jahren war zwar auch nicht alles Gold, was glänzt. Aber immerhin wurden wichtige Beschlüsse gefasst, wie zum Beispiel die Agenda 21. Hätten wir uns an die Beschlüsse gehalten, stünden wir heute besser da.
Sie sind der Meinung, dass wir uns vom Wachstum verabschieden müssen, um die sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme der Welt zu lösen?
Loske: Zunächst einmal müssen wir uns vom Diktat des Bruttoinlandsprodukts lösen, weil es viele wichtige Faktoren falsch oder gar nicht misst, beispielsweise Hausarbeit, soziales Engagement oder die Qualität des Naturhaushaltes. Außerdem ist Wachstum nicht gleich Wachstum. In einer nachhaltigen Gesellschaft wächst das Richtige, etwa die Energieintelligenz, die Kreislaufwirtschaft, der Bildungs- und Wissenschaftssektor. Anderes sollte schrumpfen: die Massentierhaltung, Monokulturen, Kohlenstoffökonomie, die Wegwerf- und Verschwendungswirtschaft. Diese Differenzierung ist wichtig. Eine allgemeine Wachstumsorientierung, die nicht unterscheidet, ist ein Irrweg.
Wächst in einer „Grünen Ökonomie“ – wie sie beim Umweltgipfel diskutiert wird – das Richtige?
Loske: Das hängt davon ab, ob das Thema ehrlich behandelt wird. Im Moment gibt es keine einheitliche Definition und wir schweben in der Gefahr, dass der Begriff ähnlich schwammig wird, wie es bei der Nachhaltigkeit passiert ist. Wenn man von „grünem Wachstum“ spricht und meint, alles kann weiterlaufen wie bisher, dann bringt uns das nicht weiter. Es gibt Grenzen des Wachstums.
Wo liegen diese Grenzen?
Loske: Es reicht nicht, nur auf technologische Lösungen zu setzen. Effizienzsteigerungen werden oft von Wachstumseffekten aufgefressen. Es bringt nichts, wenn unsere Autos sparsamer werden, wir dafür aber öfter und größere Varianten fahren. So erfolgt kein Rückgang von Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung. Es braucht neben der ökologischen Modernisierung einen kulturellen Wandel.
Statt Wachstum und Profit müssten also andere Werte in den Mittelpunkt treten?
Loske: Ja, das ständige Streben nach Mehr ist nicht die ganze Wahrheit. Wir sind nicht nur der „homo oeconomicus“, der pausenlos konsumiert. Für uns spielen auch Werte wie Respekt, Anerkennung und soziale Einbettung eine wichtige Rolle. Die sogenannte „Glücksforschung“ belegt, dass es ab einem gewissen Wohlstandsniveau keinen signifikanten Zusammenhang mehr gibt zwischen Einkommen und Zufriedenheit.
In der Wirtschaft herrscht aber ein enormer Wachstumsdruck. Was schlagen Sie vor, um diese Zwänge abzubauen?
Loske: Es gibt eine Fülle von Ansätzen, zum Beispiel die Unternehmensformen. Statt Kapitalgesellschaften, die stark auf Wachstum ausgerichtet sein müssen, um im Wettbewerb zu bestehen, könnte man stärker auf Stiftungen, Genossenschaften und mittelständische Strukturen setzen. Eine weitere Möglichkeit ist die Verkürzung der Arbeitszeit. Die Produktivität hat in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen. Je mehr gearbeitet wird, umso mehr muss die Wirtschaft wachsen, um das Ziel der Vollbeschäftigung zu erreichen. Es gibt aber noch simplere Beispiele wie ein Verbot von Fernsehwerbung zwischen Kindersendungen. Die vermittelt schon den Kleinsten, bestimmte Produkte unbedingt besitzen und konsumieren zu müssen.
Müssen wir also verzichten, um die Welt zu retten?
Loske: Die Reduktionserfordernisse, vor denen wir stehen, sind gewaltig. Es ist unmöglich, zu behaupten, das gelänge ohne Veränderungen und einen gewissen Aufwand. Aber es ist nicht unbedingt ein Verzicht. Wenn ich wenig oder kein Fleisch esse, saisonal und regional einkaufe, tut das meiner Gesundheit und meinem Wohlbefinden gut. Wenn ich als Pendler in der Bahn ein Buch lese, statt im Stau zu stehen, ist das ebenfalls positiv. Wir müssen uns fragen: Wie viel ist genug? Was ist das richtige Maß? Diese elementare Frage bewegt uns als Menschen schon immer.
Trotzdem scheint es tabu zu sein, Wachstum infrage zu stellen.
Loske: Die Menschen sind jahrhundertelang ohne Wachstum ausgekommen, aber inzwischen wird es mit Wohlstand und Fortschritt gleichgesetzt. Es wird suggeriert, dass Wachstum die Voraussetzung ist, damit alles funktioniert. Bleibt es aus, drohen Krisen. Das können wir kurzfristig nicht lösen, aber langfristig können wir die Wachstumszwänge abbauen. Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Das ist keine Veränderung von heute auf morgen, sondern ein Transformationsprozess – der bereits begonnen hat.
Woran machen Sie das fest?
Loske: In den letzten Jahren sind unglaublich viele Bücher zu diesem Thema erschienen. Darüber hinaus gibt es schon zahlreiche Ansätze, die vor Ort umgesetzt werden: das Gärtnern in der Stadt, Umsonstläden und Car Sharing zum Beispiel. Die gemeinschaftliche Nutzung löst das Streben nach Mehr ab.
Geht die Veränderung also eher von den Menschen aus als von der Politik?
Loske: Die Politik kann Rahmenbedingungen setzen, etwa durch Subventionsabbau oder steuerliche Anreize. Sie kann die Entwicklung befördern – vor allem auf kommunaler Ebene. In einer Demokratie entscheiden die Politiker im Idealfall auf eine Weise, von der sie glauben, dass die Bevölkerung sie mitträgt. Oft sind die Menschen aber schon viel weiter, als die Politik glaubt.
Reinhard Loske
Der Politiker (53) arbeitete zwischen 1992 und 1998 am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie und leitete die Studiengruppe „Zukunftsfähiges Deutschland“. An der Universität Kassel promovierte er mit der Arbeit „Klimapolitik im Spannungsfeld von Kurzzeitinteressen und Langzeiterfolgen“. Der studierte Volkswirt und Politikwissenschaftler saß von 1998 bis 2007 für Bündnis90/Die Grünen im Bundestag. Ab 2007 war er Bremer Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa. 2011 legte er seine politischen Ämter nieder und veröffentlichte das Buch „Abschied vom Wachstumszwang“. Der Nachfolger mit dem Titel „Wie weiter mit der Wachstumsfrage“ ist dieses Jahr erschienen. Text: Reb