Wie stark ist El Kaida nach dem gewaltsamen Tod des Anführers Osama bin Laden? Müssen wir Vergeltungsanschläge in Deutschland befürchten? Terrorismusexperten Matthias Hofmann gibt Auskunft.
Frage: Osama bin Laden ist tot. Ist die Welt jetzt sicherer?
Matthias Hofmann: Nein, denn Osama bin Laden hat in den letzten Jahren im internationalen Terrorismus keine größere Rolle mehr gespielt. Er war sicherlich der geistige Vater und gilt als die graue Eminenz im Hintergrund, aber an den aktuellen Anschlägen der letzten Jahre hat er keinen großen Anteil gehabt. Sein Tod ist ein psychologischer Erfolg der USA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Wer führt jetzt El Kaida?
Hofmann: Als El Kaida Ende der 80er Jahre von Osama bin Laden gegründet wurde, da war das eine zusammenhängende Gruppe. Mittlerweile gibt es verschiedene El-Kaida-Zellen, die nur noch den Namen gemeinsam haben, nicht mehr die einzelnen Ziele. Wir dürfen uns das nicht so vorstellen, dass es irgendwo eine Spinne im Netz gibt, die alle El-Kaida-Anschläge plant und koordiniert. Es gibt viele einzelne Gruppierungen, die Anschläge machen und sich El Kaida nennen, obwohl sie mit einem großen Netzwerk gar nichts zu tun haben.
Terror läuft also immer unter dem Namen El Kaida?
Hofmann: Wenn sich eine Gruppe XY nennt und irgendwo einen Anschlag begeht, ist das internationale Interesse sehr gering. Wenn sich diese Gruppe aber El Kaida nennt, dann fragen die USA nach, dann fragt die NATO nach und dann dringt das auch zur Europäischen Union durch. Der Name El Kaida bedeutet Publicity. El Kaida steht für das World Trade Center und für große Anschläge. Mit diesem Namen erzielt man Aufmerksamkeit und internationales Interesse.
Barack Obama hat gesagt: „Wir kämpfen gegen den Terrorismus, nicht gegen den Islam.“ Wie verstehen Sie die Aussage?
Hofmann: Seit den Anschlägen auf das World Trade Center wurde der Islamismus als das neue Feindbild in der Welt aufgebaut. Daher ist das als ein Versuch Obamas zu werten, ein bisschen entgegenzurudern, dass man den Islamismus nicht generell als etwas Böses ansieht, sondern nur den terrorbereiten Islam.
Welche Bedeutung hat Bin Ladens Tod für die Präsidentschaftswahlen in den USA 2012?
Hofmann: Das war ein außenpolitischer Befreiungsschlag Barack Obamas, der von der Innenpolitik ablenken soll. Obama hat bisher außenpolitisch nicht viel Nachhaltiges bewirkt und auch kein Konzept vorgelegt, wie es im Nahen und Mittleren Osten weitergehen soll: Er hat in Israel einen etwas anderen Kurs eingeschlagen als sein Vorgänger, im Irak die Kampftruppen abgezogen und in Afghanistan die Truppen verstärkt. Das Engagement in Libyen war nur von kurzer Dauer und wurde danach an die NATO abgegeben. Innenpolitisch hat der Tod Osama bin Ladens – zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September – eine große Bedeutung. Er bringt Barack Obama politisch wieder ins Gespräch, er heilt damit ein wenig die Wunde, die der 11. September 2001 bei der amerikanischen Bevölkerung hinterlassen hat und trifft genau das amerikanische Ehrgefühl.
Muss der Westen mit Racheakten rechnen?
Hofmann: El Kaida ist keine große Organisation, sondern das sind einzelne, kleine Gruppen, die alle für sich agieren. Daher glaube ich nicht, dass Racheakte im größeren Stil zu befürchten sind. Es könnte sein, dass es im Raum Pakistan, Afghanistan oder Indien aufgrund der Tötung von Osama bin Laden zu Vergeltungsschlägen kommt, aber in Europa eher nicht.
Wie groß ist die Terrorgefahr in Deutschland?
Hofmann: Die allgemeine Terrorgefahr in Deutschland hat sich in den letzten 15 Jahren nicht wesentlich verändert, außer dass jetzt verstärkt religiös engagierte Kräfte agieren.
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sorgt in Deutschland immer wieder für Unmut und wird für die Terrorgefahr hierzulande mitverantwortlich gemacht. Sehen Sie einen Zusammenhang?
Hofmann: Der Einsatz in Afghanistan ist nicht dazu da, die Terrorgefahr in Deutschland zu minimieren. Der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) hat zwar gesagt: „Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt.“ Doch das ist weit hergeholt und trifft so nicht zu. Man weiß zwar von Terrorausbildungen in Afghanistan, aber ob die Attentäter alle nach Europa kommen würden, wenn die Bundeswehr nicht in Afghanistan wäre, ist fraglich.
In Deutschland wurden erst letzte Woche drei Terroristen festgenommen. Die Ermittler nannten als mögliches Anschlagziel Düsseldorf, wo bald der Eurovision Song Contest stattfindet . . .
Hofmann: Massenveranstaltungen sind ein ideales Ziel für Terroraktionen, unabhängig davon, wer dahinter steht. In Deutschland gibt es eine Terrorwarnung der Bundesregierung seit Dezember 2010. Bislang ist nichts passiert, doch mit dieser Terrorwarnung kann oder könnte man auch gut Politik machen.
Wie meinen Sie das?
Hofmann: Nach dem 11. September 2001 ist eine Menge Verordnungen in Deutschland erlassen worden, die nicht unbedingt von der Verfassung abgedeckt sind. Zum Beispiel ist die Vorratsdatenspeicherung so von der Verfassung nicht gedeckt. Wenn man aber der Ansicht ist, dass diese Gesetze sich bewährt haben, weil man mittlerweile ein höheres Sicherheitsbedürfnis hat, muss man dazu übergehen und die Verfassung dementsprechend ändern. Dieses Vorhaben würde aber eine breite Diskussion in der deutschen Gesellschaft nach sich ziehen.
Was würden Sie sich von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wünschen?
Hofmann: Dass er jetzt nicht in die absolute Terrorpanik verfällt und noch höhere Sicherheitsmaßnahmen an den Tag legen wird. Bin Laden war nicht die Spinne im Netz, die Terrorgefahr für Deutschland wird somit nicht erhöht.
Matthias Hofmann
Der Historiker, Orientalist und Medienpraktiker verbrachte als Reserveoffizier der Bundeswehr insgesamt ein Jahr in Afghanistan. Dort wurde Hofmann erst als Verbindungsoffizier in Kabul, anschließend als landeskundlicher Berater in Feyzabad eingesetzt. Zur Zeit doziert er vor allem zum Mittleren und Nahen Osten und ist als Autor tätig. In Würzburg ist Matthias Hofmann von 4. bis 6. Juli zum Seminar „Afghanistan – Eine Dekade des internationalen Engagements“. Veranstalter ist die Gesellschaft für Politische Bildung, Akademie Frankenwarte. FOTO: Privat