In den vergangenen Wochen konnte man oft den Eindruck bekommen, wir würden von Virologen, Epidemiologen und Infektionsforschern regiert. Sie erklärten uns das neuartige Coronavirus, die Pandemie und was wir jetzt zu tun oder besser zu lassen haben. Gerne schmückten sich Politiker in Pressekonferenzen mit "ihren" Experten. Doch auch die Wissenschaftler sind sich nicht immer einig - und sie können die drängenden politischen Fragen bestenfalls beratend flankieren. Beantworten müssen die Fragen - nicht nur aus Prinzip - die demokratisch gewählten Politiker. Und zwar deutlich - und ohne sich hinter der Wissenschaft zu verstecken.
Die Wissenschaft ist jetzt vor allem dort gefordert, wo sie dem Virus und seinen Folgen Einhalt gebieten kann. Bei der Entwicklung von Impfstoffen, dem Test potenzieller Medikamente gegen schwere Verläufe, bei der Herstellung neuer und einfacher Testverfahren und nicht zuletzt bei der Erforschung des Virus, seiner Verbreitung und der von ihm ausgelösten Covid-19-Erkrankung. Hier gibt es bereits - für die Kürze der Zeit beachtlich - gute Erfolge. Sowohl beim Testverfahren, als auch bei der Entwicklung eines Impfstoffes steht Deutschland weit vorne.
Wissenschaft darf sich von Politik nicht einspannen lassen
Darüber hinaus ist es gut und wichtig, dass die Wissenschaft Politik berät und bei der Entscheidungsfindung hilft. Denn Beschlüsse, an denen Wissenschaftler beteiligt waren, sind allemal besser als Beschlüsse, die allein durch persönliche Interessen, eine Partei, Ideologien oder pure Machtdemonstration zustande kommen. Letzteres kann man derzeit peinlich und brutal bei US-Präsident Donald Trump beobachten.
Dennoch kann Wissenschaft eben nur beraten. Entscheiden muss die Politik. Wie gefährlich es werden kann, wenn sich Wissenschaft zu stark in den Dienst der Politik stellt, zeigt das Beispiel Heinsbergin Nordrhein-Westfalen. Ohne die Studie anzuzweifeln, die der Virologe Hendrick Steeck dort gestartet hat, sind doch Fragezeichen angebracht: Können die Studienergebnisse aus einem der am stärksten betroffenen Landkreise auf das ganze Land übertragen werden? Auf keinen Fall können und sollten zum jetzigen Zeitpunkt direkt Handlungsanweisungen daraus abgeleitet werden. Wenn es dann noch genau solche Handlungsanweisungen sind, die Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), dessen Land die Studie beauftragt hat, gut in die Strategie passen, wird es peinlich. Vor allem für den Virologen.
Wissenschaft zeichnet sich vor allem durch Gründlichkeit aus. Methoden und Herangehensweisen werden diskutiert und wieder verworfen. Ergebnisse werden verglichen und korrigiert. Forscher können völlig konträrer Meinung sein. Im Wissenschaftsbetrieb setzt sich oft erst nach Jahren eine als überlegen geltende, gesicherte Erkenntnis durch. Doch dafür scheint in der momentanen aufgeregten Situation keine Zeit.
Zusammenwirken vieler Disziplinen ist für Handlungsoptionen nötig
Auf die Schnelle kann die Wissenschaft nur Handlungsoptionen aufzeigen. Und auch dies nur interdisziplinär, unter Beteiligung vieler Stimmen und Bereiche. Die Frage von Ausgangsbeschränkungen oder Schulschließungen etwa können Virologen und Epidemiologen nur in Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen beurteilen. Mit Sozialwissenschaftlern, die die Probleme der Familien im Blick haben. Mit Wirtschaftswissenschaftlern, die zumindest abschätzen können, was es heißt, wenn Eltern schulpflichtiger Kinder über Wochen nicht arbeiten können oder ganze Branchen monatelang lahmgelegt werden.
Diese Krise ist unberechenbar. Entscheidungen müssen immer wieder überprüft und korrigiert werden, und sie können sich im Nachhinein auch als völlig falsch herausstellen. Die Wissenschaft kann sie der Politik nicht abnehmen.