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Kommentar: Unser Leben passt – nur nicht unbedingt zu uns

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Kommentar: Unser Leben passt – nur nicht unbedingt zu uns

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    Wie gut passt mein Leben wirklich zu mir, und was könnte ich ändern?
    Wie gut passt mein Leben wirklich zu mir, und was könnte ich ändern? Foto: Getty Images

    Was ist Erfolg? Eine Bestnote in der Abschlussprüfung? Eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen? Eine Beförderung im Beruf? 100.000 Follower bei Instagram? Bob Dylan – der Musiker, Lyriker und Nobelpreisträger, der im April in Würzburg ein Konzert geben wird – hat auf die Frage einmal eine überraschende Antwort gegeben: „Ein Mensch ist erfolgreich, wenn er zwischen Aufstehen und Schlafengehen das tut, was ihm gefällt.“

    Das ist eine ausgezeichnete Definition, weil sie die Individualität des Einzelnen in den Mittelpunkt rückt und nicht die Erwartungshaltung anderer oder gar die Definition aus der freien Marktwirtschaft, wo Erfolg letztlich immer finanziellen Erfolg bedeutet. Dylans Antwort schließt ein, dass jeder Mensch unabhängig von Status und besonderen Fähigkeiten erfolgreich sein kann im Sinne von persönlicher Zufriedenheit. Doch Dylans Antwort macht es nicht leichter, erfolgreich zu sein. Eher im Gegenteil: Es ist die Aufforderung an jeden, das Leben zu führen, das ihm gefällt. Das ihm gut tut. Das wirklich zu ihm passt.

    Im Herbst 2018 sind zuletzt die Ergebnisse des „Glücksatlas“ erschienen. In der dazugehörigen repräsentativen Umfrage wurden Menschen in Deutschland zu ihrer Lebenszufriedenheit befragt. Die Teilnehmer bewerteten ihre Zufriedenheit auf einer Zehn-Punkte-Skala im Schnitt mit 7,05, was die Deutsche Post als Auftraggeber der Studie zu dem Schluss kommen ließ: Ja, die Deutschen sind zufrieden. Bezeichnend ist eine zentrale Aussage in der Zusammenfassung der Studie: „Die anhaltend starke Konjunktur und die gute Beschäftigungslage dürften für das hohe Glücksniveau der Deutschen verantwortlich sein.“

    „Alles was ich sein kann, bin ich selbst  – wer auch immer das ist.“

    Bob Dylan

    Natürlich ist wirtschaftliche Sicherheit ein zentraler Faktor für Zufriedenheit, weil sie existenzielle Sorgen nimmt. Für die seelische Gesundheit ist es aber entscheidend, dass Menschen ein Leben führen und wirtschaftliche Sicherheit auf eine Weise erreichen können, wie es wirklich zu ihnen passt. Der Schweizer Entwicklungsforscher Remo H. Largo geht sogar so weit, dass er den Sinn des Lebens darin sieht, dass jeder Mensch seine Einzigartigkeit und Individualität (aus)lebt. Seine Erkenntnisse zieht er aus Langzeitstudien, in denen er über 40 Jahre mehr als 700 Menschen von der Geburt bis ins Erwachsenenalter wissenschaftlich begleitet hat. Largo beschreibt im Kern, dass Menschen dann glücklich und seelisch gesund bleiben, wenn sie ihre individuellen Grundbedürfnisse befriedigen und genau die Kompetenzen einbringen können, die sie von Natur aus haben oder aus freiem Willen entwickelt haben.

    Das Ringen um ein passendes Leben überfordert immer mehr Menschen

    Der Wissenschaftler beschreibt aber auch, dass das Ringen um ein passendes Leben immer mehr Menschen überfordert. Einerseits gab und gibt es immer äußere Umstände wie Krankheiten oder Schicksalsschläge, die ein selbstbestimmtes Leben verhindern. Die Zwänge des Alltags – von der Stechuhr am Arbeitsplatz über Arzttermine bis zu den Stundenplänen der Kinder – tun ihr übriges. Doch als ob das nicht genug wäre, sind es laut Largos Erfahrung eben häufig Erwartungen von Eltern, Wirtschaft und der Gesellschaft im allgemeinen, die Menschen auf fremdbestimmte Lebenswege drängen. Um das klarzustellen: Bei einem „passenden Leben“ geht es nicht darum, zu jedem Zeitpunkt das zu tun, was man gerade möchte. Es geht darum, im Innersten seine Talente und Bedürfnisse zu kennen und daraus Selbstvertrauen und Energie zu schöpfen - auch für „unpassende Zeiten“.

    Zum Ende folgende Fragen: Haben Sie an Menschen, die Ihnen nahe stehen, Erwartungen, die gar nicht zu diesen Menschen passen? Wenn ja, warum? Und: Wie gut passt Ihr eigenes Leben zu Ihnen, und was könnte Sie ändern? Beim Beantworten dieser Fragen wünsche ich viel Erfolg, natürlich im Sinne von Bob Dylan, der auch mal gesagt hat: „Alles was ich sein kann, bin ich selbst – wer auch immer das ist.“

    Leseempfehlung: „Das passende Leben – was unsere Individualität ausmacht und wie wir sie leben können“; Remo H- Largo, Verlag S.Fischer, 480 Seiten

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