Das Handelsabkommen ACTA sollte schleunigst ad acta gelegt werden. Auch wenn es zunächst bedeutungslos wäre, ob die Bundesregierung das Abkommen unterzeichnet oder nicht – es weist politisch in die vordigitale Zeit und tut so, als ob es das Internet nicht gäbe. Gleichwohl haben die Proteste in Würzburg und vielen weiteren Städten vom Wochenende ein untrügliches Geschmäckle.
Systematische Urheberrechtsverletzungen bescheren Produzenten künstlerischer Werke Milliardenverluste, während illegale Tauschbörsen im Internet Ganoven wie den kürzlich festgenommenen Kim Schmitz zu reichen Männern machen. Wer in dieser Situation nur die Freiheit des Internets wie eine Monstranz vor sich herträgt, unterstützt ungewollt gewerbsmäßige Datenhehlerei.
Keine Frage, ACTA hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, war ein Fehler. Dabei sind die Absichten und Wünsche des Abkommens, die in neun Absätzen dem Vertrag vorangestellt sind, durchaus zu verstehen. Die Musikindustrie zum Beispiel hat im vergangenen Jahrzehnt ihren Umsatz nahezu halbiert. Gleichzeitig vergeht so gut wie keine Party, auf der nicht sämtliche Hits der vergangenen 50 Jahre digital von einer Festplatte für die musikalische Untermalung sorgen. Jeder Gast weiß, dass die dazugehörige Plattensammlung nicht im Keller, sondern im Internet zu finden ist. Und wer heute Kinofilme noch vor ihrem offiziellen Start in den Lichtspielhäusern sehen möchte, besucht die etlichen sogenannten Datentauschbörsen, auf denen gegen eine kleine monatliche Gebühr so gut wie jeder Film herunterzuladen ist. Da nutzt auch die spektakuläre Verhaftung der Betreiber von Megaupload und dem Portal Kino.to nichts. Beide haben längst ihre Nachfolger gefunden.
Musikindustrie, Wirtschaftsverbände und Gesetzgeber haben auf diesen Umstand in den vergangenen Jahren lediglich mit einer Verschärfung des Urheberrechts reagiert. Doch einerlei, welche Namen die Abkommen trugen und wie hart die angedrohten Strafen auch waren, an dem Boom digitaler Tauschbörsen änderten sie nichts.
ACTA würde auch nichts ändern. Die meisten Richtlinien des Abkommens gelten in der Bundesrepublik bereits. Und der Vorschlag, an dem sich die Proteste vor allem entzünden, würde hier niemals zum Tragen kommen. Der in einer Fußnote formulierte Hinweis, die Internetprovider in Haftung für Urheberrechtsverletzungen zu nehmen, könnte kaum in geltendes Recht gegossen werden. Providerhaftung bedeutet, dass etwa die Telekom sämtliche Daten, die auf ihren Servern gespeichert oder durch ihre Leitungen transportiert werden, kontrollieren müsste. Das wäre ein großer Lauschangriff, der allem Rechtsverständnis widerspräche.
Dennoch: So verständlich die Proteste gegen ACTA auch sind – es ist nicht das Urheberrecht, das die Freiheit des Internets gefährdet. Es sind vor allem jene, die die Freiheit des Internets missbrauchen, um mit geistigem Eigentum anderer Millionen zu verdienen. Und dazu wünschte man sich zumindest von den Parteien, die die Proteste unterstützen, eine Stellungnahme. Von ihnen erwartet man Ideen, wie wir geistiges Eigentum schützen, Persönlichkeitsrechte wahren und die Freiheit im Internet beibehalten wollen. Hier nur auf die Freiheit zu verweisen, hilft nicht weiter, sondern erweckt den Eindruck, sie wollten einen berechtigten Protest politisch instrumentalisieren.