Persönliche Gefühle sind viel häufiger Maßstab in der Politik als man gemeinhin vermutet. An der Koalitionssuche in Baden-Württemberg lässt sich ablesen, wie wenig sach- und vernunftsbezogen und gleichzeitig wie emotional die Suche nach Bündnissen sein kann. Vor allem die baden-württembergische FDP tut sich da hervor.
Das aktive Beleidigen in der Politik ist ein gängiges Instrument zur Steigerung der Aufmerksamkeit. Man muss nur in die diversen Netze schauen, um zu sehen, dass selbst in politischen Diskursen die menschliche Enthemmung kaum Grenzen kennt. Das Beleidigtsein als handlungstreibende Kategorie in der Politik ist indes weithin unterschätzt. Dabei menschelt es allzu häufig auch bei sogenannten Profis des politischen Geschäfts. Und manch einem, der vordergründig schneidig und forsch auftritt, wird seine Empfindlichkeit zum Verhängnis. Vor allem aber treibt sie die politischen Handlungen in eigener Weise voran. Denn wer beleidigt ist, nimmt sich raus aus dem Geschehen, lässt andere gestalten.
Bei der Landtagswahl 2011 war es Stefan Mappus, der den Versuch verpasste, erneut eine Regierung zu bilden. Die baden-württembergische CDU war trotz Fukushima und Stuttgart 21 mit 39 Prozent die stärkste politische Kraft im Land. Doch Mappus schlich sich davon, bevor andere Bündnisse wie Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot hätten angedacht werden können. Er war beleidigt. Eines kann man dem CDU-Wahlverlierer Guido Wolf deshalb nicht vorwerfen: das Beleidigtsein. Seine Schwäche offenbart sich eher in Form einer anderen menschlichen Unzulänglichkeit, einer Hybris.
Dafür zeigt sich FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke gern und oft beleidigt. Tief verletzt war er, als Winfried Kretschmann ihm vor Jahren missverständlich vorwarf, seinetwegen die Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus zu verpassen. Es schlug eine Wunde, die bis heute nicht vernarbt ist. Beleidigt war der Liberale auch, weil die Grünen auf seine Aufforderung, Wahlprüfsteine zu beantworten, lediglich ein kurzes Schreiben samt Parteiprogramm schickten – ähnlich wie die SPD.
Freilich erfand der Liberale für die Grünen neue, eigene Spielregeln, nach denen sein Beleidigtsein hätte vermieden werden können: Dann nämlich, wenn vor den Landtagswahlen Ministerpräsident Winfried Kretschmann seinen langjährigen Oberkritiker zu Gesprächen über gemeinsame Politik eingeladen und ihm einen Politikwechsel in die Hand versprochen hätte. Beleidigtsein-Prophylaxe sozusagen vor der Wahl. Dass Kretschmann nicht darauf einging und stattdessen sagte, eine Fünf-Prozent-Partei könne keinen Politikwechsel fordern, nährte Rülkes Beleidigtsein umso mehr.
Und so ist die FDP die einzige Partei im Südwesten, die eine Sondierung aus ganz persönlichen Verwerfungen nicht schafft. Anders ist die Weigerung, mit allen zu sondieren, nicht erklärbar. Am Ende aber könnte das Beleidigte-Leberwurst-Prinzip den Liberalen keine starke Regierungsbeteiligung in einer Deutschland-Koalition einbringen, sondern sie erneut auf die harte Oppositionsbank führen – als kleinste Kraft neben der SPD und einem Oppositionsführer der rechtspopulistischen AfD. Das wäre dann aber wirklich ein Grund, beleidigt zu sein.