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BERLIN: Leitartikel: De Maiziere lässt einen Tiger aus dem Sack

BERLIN

Leitartikel: De Maiziere lässt einen Tiger aus dem Sack

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    Thomas de Maiziere am 23. August 2017 in Berlin.
    Thomas de Maiziere am 23. August 2017 in Berlin. Foto: dpa

    Vor wenigen Tagen hat Thomas de Maiziere zugestanden, dass man darüber reden könne, in Deutschland einen muslimischen Feiertag einzuführen. Wenige Tage später will der Noch-Innenminister diesen Vorschlag gar nicht mehr gemacht haben. Sagt er. Aber es gibt Themen, die, kaum dass sie aus dem Sack gelassen sind, wachsen und wachsen. Die schnell nicht mehr Katze sind, sondern Tiger. Das wissen Paartherapeuten – aber Politiker, zumal so erfahrene Politiker wie de Maiziere, sollten es eigentlich auch wissen.

    Der Vorschlag, einen muslimischen Feiertag in Deutschland einzuführen, ist so ein Tiger-Thema. Es mag dem Minister um einen einzelnen Tag gegangen sein; im Schatten der Debatte um den Feiertag lauert aber natürlich wieder die große und gefährlich explosive Streitfrage, ob, inwieweit und in welchem Maß der Islam zu Deutschland gehört und was das für Deutschlands Bürger bedeutet. Es ist dies eine wichtige Debatte. Sie muss geführt werden. Aber nicht so.

    Und nicht jetzt! Nicht in einer Zeit, in der Deutschlands Bürger gerade ihre bisherige Regierungskoalition abgewählt haben, ihre Kanzlerin satt abgestraft haben und in der eine neue Regierung noch nicht einmal gebildet ist und schon gar nicht handeln kann. Vielleicht sollte man sich doch noch mal vergegenwärtigen, warum so viele Deutsche bei der Bundestagswahl den beiden Regierungsparteien untreu geworden sind – wegen deren Ausländer- und Flüchtlingspolitik nämlich.

    Falscher Zeitpunkt für die Debatte – Sie schürt jetzt Ängste

    Ganze 46 Prozent der deutschen Bürger machen sich derzeit laut infratest/dimap Sorgen darüber, dass der Einfluss des Islam in Deutschland zu stark wird. Der von de Maiziere unklugerweise thematisierte mögliche muslimische Feiertag wird diese Sorgen sicher eher schüren und nicht abbauen.

    Die Debatte läuft also heiß; in den Sack zurück kriegt man sie nicht. Was aber spricht dagegen, die unglückliche Feiertagsdiskussion in eine andere Richtung zu lenken, sie etwa mit Blick auf die Praktiken in anderen europäischen Ländern zu führen? Dabei würde man nämlich feststellen, dass etwa Frankreich und England, beides ebenfalls Länder mit einem erheblichen muslimischen Bevölkerungsanteil, keineswegs einen muslimischen Feiertag in Erwägung ziehen. Was wäre das Echo etwa in diesen Ländern, ginge Deutschland mit einem muslimischen Feiertag einen Sonderweg?

    Braucht ein säkularer Staat neue religiöse Feiertage?

    Lohnenswert wäre auch der Blick auf die sehr unterschiedlichen Feiertagsregelungen im Norden und im Süden Deutschlands. Immer noch leistet sich Bayern derzeit 14 Feiertage, während etwa die Brandenburger oder Berliner mit zehn Tagen auskommen müssen. Sollte man nicht eine bundesländereinheitliche Feiertagsregelung finden, bevor man überhaupt über eine muslimische Erweiterung nachdenkt?

    Und was spricht überhaupt dagegen, sich zu überlegen, ob in einem ganz klar als säkular definierten Staat wie Deutschland weitere religiöse Feiertage grundsätzlich sinnvoll sind? Dabei soll hier nicht die Rede davon sein, bestehende Feiertage wie Weihnachten oder Ostern im Lichte der Säkularisierung abzuschaffen. Nein, diese Feiertage sind Jahrtausende alt, entstanden als Wintersonnwendfeier und als Feier der Tag-und-Nachtgleiche wahrscheinlich schon vor dem Christentum und sind für die meisten Europäer als wichtiger Teil ihrer abendländischen Tradition sinn- und identitätsstiftend.

    Vielleicht sollte gerade mit Blick darauf, dass Religion Menschen genauso entzweien wie vereinen kann, ein säkularer Staat von der Einführung neuer religiöser Feiertage absehen. Unbenommen davon ist natürlich das Recht von Gläubigen – ob Muslime, ob Christen, ob Juden, ob Buddhisten – auf freie Religionsausübung. Sie muss ein demokratischer Rechtsstaat selbstverständlich gewährleisten. Aber das tut er ja auch.

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