Es ist ja angenehm. Keine verklebte, blutige Windschutzscheibe mehr im Sommer nach einer Fahrt übers Land. Keine nervigen Falter mehr um Fernseher und Stehlampe, wenn abends die Fenster offen stehen. Keine aufdringlichen Wespen beim Kaffeeklatsch auf der Terrasse, keine lästigen Schnaken mehr im Bett. Nichts, was man vermissen würde – zumindest nicht im ersten Moment. Irgendwie aber ist da doch inzwischen ein ungutes Gefühl. Wo sind die Schmetterlinge geblieben? Wo summen noch Bienen? Und wann hat man zum letzten Mal eine Libelle gesehen?
Die Insekten sind weg. Seit 1989 ist die Masse der Schmetterlinge, Fliegen, Hummeln, Käfer, Mücken in weiten Teilen Deutschlands um drei Viertel zurückgegangen. Um genau zu sein: um 76 Prozent. Auf diesen erschreckenden Befund kommen holländische, deutsche und britische Wissenschaftler, die den Inhalt von Insektenfallen gründlich analysierten. Fallen, die ehrenamtliche Insektenkundler 27 Jahre lang an 63 verschiedenen Stellen in Naturschutzgebieten (!) aufgestellt haben.
Die Nachricht schreckt auf, auch wenn sie im Kern nicht neu ist. Doch die Zahlen sind so drastisch, der Beleg des Insekten-Schwunds ist so offenkundig und massiv, dass es die wissenschaftliche Untersuchung in die Hauptnachrichten der großen Sender, auf die Titelseiten aller Zeitungen, in die Schlagzeilen der Online-Portale geschafft hat.
Die Wahrnehmung hat eine Zahl bekommen
76 Prozent. Die Beobachtung von Naturfreunden, die Erfahrung vieler Zoologen und Ökologen hat eine Zahl bekommen. Die erste, ernst zu nehmende Langzeitstudie bestätigt einzelne Erhebungen und Analysen, die für Schmetterlinge oder Bestäuber in den vergangenen Jahren gemacht wurden. Und sie belegt dramatisch eben auch die Wahrnehmung vieler Autofahrer, dass die Windschutzscheibe nicht mehr mit Fliegenmatsch verkleistert ist.
Die Insekten sind weg. Aber woran liegt's? Dass der Schwund der Kerbtiere nicht lokal begrenzt ist, nicht nur einzelne Arten leiden, macht die Ursachenforschung schwierig. Und deutet auf tiefgehende, weitreichende Eingriffe hin. Klimawandel? Abgase von Autos und Fabriken und Unmengen von Schadstoffen in der Luft?
Nichts ist belegt, nichts bewiesen. Aber immer wieder kommen Forscher auf die Landwirtschaft zurück. Dass der Bauernverband gleich abwiegelte, die Studie kritisierte und sich eilige Schlüsse verbat – ein bekannter Reflex. Bei Themen, die das Geschäft schädigen könnten, ist der Verband mit Gegenpositionen schnell. Dem Bekenntnis zum „großen Interesse an Artenvielfalt“ folgte die Mahnung, dass es noch „dringenden Forschungsbedarf“ gebe und weitere Untersuchungen nötig seien. Beim Naturschutz gehe es auch um „praktikable und wirtschaftlich tragfähige Maßnahmen“.
Tun kann jeder was – im eigenen Garten
Vieles deutet darauf hin, dass die Landwirtschaft ein ganz entscheidender Faktor für diesen Rückgang ist: Pestizide, Monokulturen auf Riesenfeldern, Überdüngung, ausgeräumte Feldflur ohne Hecken und wilde Kräuter. Der Verlust an Lebensräumen, Brachflächen, bunt blühenden Ackerrandstreifen wirkt sicher so schwer wie Gift auf dem Feld.
Man muss Motten nicht mögen. Aber wir brauchen sie. Nur auf die Bauern zeigen? Zu einfach. Wollen wir nicht gerade billige Lebensmittel, die es nur mit intensiver, industrialisierter Landwirtschaft gibt? Belohnen wir im Supermarkt nicht gerade jenes Wirtschaften, das zum Rückgang von Wildbiene und Schwebfliege führt?
Die Insekten verschwinden, und jeder kann was dagegen tun. Im Garten Gras stehen und Brennnesseln blühen lassen statt Stein- und Betonwüsten schaffen. Nicht jeder Blattlaus mit Pestiziden hinterherjagen. Heimische Wildblumen säen statt exotische Ziergehölze pflanzen. Harken statt Laubsaugen. Und öfter mal das Licht ausschalten, wo's nicht nötig ist. Damit die letzten Falter, die noch flattern, nicht an der Lampe verenden.