Stell Dir vor, es ist Impfung, keiner geht hin – und nichts passiert. Klar, im Nachhinein hat man leicht reden. Hatten wir's nicht gleich gesagt? Hatten wir nicht schon geahnt, dass Staatsfeind Nummer H1N1 kein größeres Problem werden wird? Die paar Tage Husten, Schnupfen, Gliederschmerzen – das halten wir schon noch aus. Schweinegrippe? Höchste Ansteckungsgefahr? Zweifache Spritze dringend nötig? Tja, die Bundesbürger haben sich nicht verrückt machen, nicht in den Impfsog ziehen lassen. Nicht einmal Ärzte oder Behördenmitarbeiter ließen sich trotz dringender Empfehlung in den Oberarm pieksen. Die gesunde Skepsis überwog.
Klar, im Nachhinein hat man leicht reden. Doch inzwischen hat gar der Europarat eine Anhörung darüber angekündigt, warum in Deutschland und anderen europäischen Staaten überhaupt Massenimpfungen gegen die Neue Grippe geplant wurden. Warum sich Regierungen und Forschungsinstitute unter Druck setzen ließen.
Kopfschmerz und Halsweh lassen nach. Und auch, wenn es für eine abschließende Bilanz der Grippesaison noch viel zu früh ist, scheint klar: Die wenigsten Deutschen haben wegen H1N1 schon das Bett gehütet. Es gibt viel weniger Erkrankungen als befürchtet – doch zu viel Impfstoff. Das Fieber klingt ab. Doch es bleibt das ärgerliche, ungute Gefühl, auf eine gezielte Panikmache der Pharmaindustrie hereingefallen zu sein. Bei der Schweinegrippe geht's um viel, viel Geld. Steuerzahlergeld. Die Pharmaindustrie hat die Regierungen – begleitet von einer Medien-Pandemie – dazu gebracht, für viele Milliarden überflüssige Impfdosen zu beschaffen. Mit Lieferverträgen, die man Knebelkontrakte nennen kann.
Ein siechendes Volk, eine zusammenbrechende Infrastruktur vor Augen, vergaß man beim Impfstoff-Bestellen schlicht eine Vorbehaltsklausel für den Fall, dass alles ganz anders kommt. Und noch Ende Oktober, als die Ansteckungszahlen nicht mehr bedrohlich schienen, bestellten die Länder 18 Millionen Dosen nach.
Die Hersteller waren schlauer. Sie vereinbarten Entschädigungszahlungen für den Fall, dass die WHO die Pandemie für beendet erklärt. Jetzt wird das „Abbestellen“ der überflüssigen Impfdosen schon als Kulanz der Pharmaindustrie verkauft: Die Bundesländer müssen weniger Serum abnehmen als bestellt – und können damit Millionen „sparen“. Herzlichen Glückwunsch!
Sicher, Vorsicht und das Warnen vor Unwägbarkeiten gehören zur Berufspflicht von Infektiologen, Ministerien und Ämter müssen um das Bürgerwohl besorgt sein. Doch vor lauter politischer Korrektheit und Angst, was zu verpassen, wurde unbesonnen ein Bedrohungsszenario aufgebauscht. Und schlagzeilenheischende Medien zählten eifrig jeden Todesfall, bei dem der Grippeerreger nachgewiesen wurde.
Klar, im Nachhinein hat man leicht reden. Aber die WHO wird sich Gedanken machen müssen: Wie soll man in Zukunft damit umgehen, dass nach den neuen Maßstäben jede gewöhnliche Grippewelle automatisch zur Pandemie wird? Margaret Chan, die Leiterin der WHO, die einst das hochgefährliche Sars-Virus unterschätzte, stufte auf die Schnelle H1N1 als menschheitsbedrohenden Erreger ein und veränderte die Pandemie-Kriterien.
Jetzt? Ein paar Fälle noch im Februar und März, vielleicht eine weitere kleine Welle. Ein paar Tage mit Fieber und Hämmern im Kopf. Dann ist die neue Influenza an uns vorbeigezogen. Nur: Was, wenn irgendwann ein wirklich gefährlicher Erreger auftritt? Wenn dann die Impfung angesagt ist – und keiner geht hin?