Bei Loriot wahren sogar nackte Comic-Männchen in der Badewanne die Etikette: Beim Streit um die Ente wehrt sich Herr Müller-Lüdenscheid selbstverständlich korrekt mit einem entrüsteten „Herr Doktor Klöbner!“. So viel Zeit muss sein, die bürgerliche Gepflogenheit gehört sich auch in der Wanne.
Denn Titel sind wichtig in Deutschland. Nach Titeln drängt, am Titel hängt doch alles. Und da hierzulande niemand mehr geadelt oder zum Ritter geschlagen wird und hohe militärische Auszeichnungen öffentlich auch nicht mehr recht wertgeschätzt werden – bleiben die akademischen Würden. Der „Dr.“ steht im Pass, schindet Eindruck und verspricht Seriosität. Backpulver von „Dr. Oetker“ lässt den Teig ganz sicher gehen. Cremes von „Dr. Hauschka“ pflegen bestimmt. Und „Dr. Bests“ Borsten können dem Zahnfleisch wohl kaum schaden. Früher hat man auf dem Gesellschaftsparkett selbst die Gattin mit einem „Frau Doktor“ angesprochen – das ist selten geworden. Der „Herr Doktor“ war auch noch nie ein Muss, weil er nicht wie der Adelstitel zum Teil des Namens wird. Aber viele Promovierte bestehen schon darauf, dass ihr akademischer Grad bei der Anrede nicht unterschlagen wird.
Der Titel ist ja auch nicht ohne. In vielen Berufen gehört der Doktortitel in Deutschland noch immer zum guten Ton. Anders als in den USA beispielsweise, wo es darauf ankommt, an einer Eliteuniversität studiert zu haben und wo der „Master of Business Administration“ von Harvard den Doktortitel toppt. In Deutschland verhilft der Doktor zu Karrieresprüngen – zu Gehaltssprüngen auch. In der freien Wirtschaft verdient ein promovierter Mitarbeiter im Durchschnitt mehr als der Kollege, bei dem kein Doktor auf der Visitenkarte steht. Rund 15 000 Euro sind es laut der Unternehmensberatung Kienbaum im Jahr. Gut, für Geisteswissenschaftler mag das nicht unbedingt gelten. Aber vor allem Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler beziehen promoviert doch deutlich höhere Jahresgehälter als unpromoviert.
Was Wunder, dass sich mancher durch einen erkauften Doktortitel Hoffnungen auf Prestige und schnelle Karriere macht. Mit dem simplen Studium allein hebt man sich auf dem Bewerbermarkt nicht mehr ab. Bei den Spitzenmanagern hat mehr als jeder Zweite heutzutage einen akademischen Titel, und auch im mittleren Management wird ein „Dr.“ schon mal vorausgesetzt. Dass bei uns weit mehr Doktorarbeiten geschrieben werden als anderswo – 25 000 mittlerweile – liegt nicht nur daran, dass viele Absolventen mangels Jobangebot und Perspektive lieber noch ein paar Jahre an der Universität verbringen. Sondern auch daran, dass beispielsweise ohne „Dr.“ niemand mehr Ober- oder Chefarzt wird. Fast jeder dritte vergebene Doktortitel ist ein „Dr. med.“. Meist wird da ein bisschen Statistik zusammengeschrieben – zu Erkenntnis und wissenschaftlichem Fortschritt tragen solche Promotionen nicht bei.
Überhaupt wäre dies das eigentliche Thema, über das öffentlich diskutiert werden müsste: nicht ein paar bestechliche Professoren und Agenturen, die Geschäfte mit den Promotionen machen. Sondern die Schmalspur-Arbeiten ohne Erkenntniswert und Anspruch, der Qualitätspfusch, vor allem der Zwang, möglichst viel zu publizieren. Formal mögen die allermeisten Arbeiten absolut korrekt sein. Aber wird nicht inhaltlich zu oft gemauschelt und Überflüssiges geschönt?