Mit Joachim Gauck wird am 18. März der älteste Bundespräsident in der Geschichte der Bundesrepublik gewählt. Er wiederum folg auf den bis dato Jüngsten. Ist mit Christian Wulff eine ganze Generation gescheitert?
„Der Sturz der Babyboomer“ überschrieb der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Frank Schirrmacher, sein Essay zum Rücktritt von Wulff. Darin rechnet er mit der sogenannten Babyboomer-Generation (Jahrgang 1955 bis 1965) ab. Sie stünde, weil geburtenstark, nur für Marktgläubigkeit und Konsum. In der Politik sei sie ideen- und erfolglos geblieben. Kein Wunder also, dass der Neoliberalismus als einzige Idee dieser Generation hängen bleiben wird.
Es stimmt ja auch, dass auf SPD-Parteitagen am meisten einem über 90-Jährigem zugejubelt wird, Gauck mit 72 Jahren ins höchste Staatsamt kommt und immer öfter der 66-jährige Rainer Brüderle genannt wird, wenn es um die Frage geht, wer an die Spitze der FDP wechseln soll, wenn Philipp Rösler scheitert.
Und aus keiner Generation kehrten so viele Politiker der Politik den Rücken oder scheiterten: Roland Koch, Friederich Merz, Ole von Beust, Christian Wulff und Guido Westerwelle. Allerdings handelt es sich ausschließlich um bürgerlich-konservative Parteigänger. Bei SPD und Grünen halten Babyboomer aktuell die Zügel in der Hand. Auch wenn sie ihre größten Erfolge bislang im Windschatten der Vorgänger-Generation hatten.
Doch es ist ungerecht, derart hart mit einer ganzen Altersgruppe ins Gericht zu gehen. Nicht nur, weil der Verfasser selbst einem dieser Jahrgänge angehört. Denn wir hatten es schwer. Als Schüler wurden wir in überfüllten Klassenzimmern unterrichtet, als Studenten saßen wir auf Fensterbänken, beim Start ins Berufsleben hatten wir die bislang größte Konkurrenz. Und wenig üppig wird die Rente.
Logisch, dass dies zu einem angepasstem Verhalten, Ellenbogen- oder Versorgungsmentalität führen kann. Klar lernt eine solche Generation schnell mit ihrer Marktmacht umzugehen. Aber eben nicht nur im Sinne von Konsumverhalten und Neoliberalismus.
Denn eines haben Schirrmacher und leider auch der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, der ihm gestern heftig widersprach, übersehen. Zwar ist die ökologische Bewegung vorher entstanden. Babyboomer aber stehen für neue soziale Bewegungen außerhalb der offiziellen Politik. Früh wurden sie Mitglied bei Amnesty, Greenpeace und vor allem in regionalen und lokalen Bürgerinitiativen. Sie haben gelernt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und zu organisieren.
Mehr direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung lautet ihr Credo. Freilich muss man aufpassen, denn Babyboomer neigen dazu, sich aus ihren persönlichen Betroffenheiten einen individuellen Partizipationscocktail zusammenzustellen. Man demonstriert gegen ein Projekt vor der Haustür, mindert das Leid vor Ort, unterstützt das Charity-Projekt guter Freunde.
Damit kann man sich mehr identifizieren als mit einer politischen Partei, die verallgemeinern muss. Deshalb tut sich diese Generation mit Parteien vielleicht schwerer als ihre Vorgänger. Demokratie und Gesellschaft haben sie dennoch einen großen Dienst erwiesen. Für den Erfolg stehen unter anderem zahlreiche Nicht-Regierungs-Organisationen, Bürgerbewegungen und mehr direkte Demokratie zumindest auf kommunaler und Länderebene.
Und es gibt noch genug 50-jährige Politiker, die mit dem Bundespräsidenten einer anderen Generation viel zu diskutieren haben. Freuen wir uns drauf!