Was ist nur los mit diesem Deutschland? Einem Land, so reich. So gebildet. So demokratisch. So hell. Einem Land, das sich erst vor 25 Jahren friedlich wiedervereint hat unter dem Leitmotiv Freiheit. Das Ungarn dankte dafür, dass es seine Grenzen geöffnet hat. Das Mauern eingerissen hat. Jetzt sollen zur Silberhochzeit in Europa wieder Zäune hochgezogen werden? Herzlichen Glückwunsch!
Richtig, das Leid der Flüchtlinge wird zu einer großen Herausforderung für Europa. Wahrscheinlich zur größten der nächsten Dekade. Aber lange genug hat die Welt ja auch weggeschaut. Doch Kriege lassen sich nicht wegschauen. Elend lässt sich nicht ignorieren. Jetzt sind Politik und Gesellschaft gefragt.
Welches Potenzial Flüchtlinge bergen, zeigt ein Blick auf die Wirtschaft. In der Gastronomie, beispielsweise, sind ja hierzulande keine Kräfte mehr zu finden. „Koch gesucht.“ Kaum ein Lokal, in dem diese Stellenanzeige nicht neben der Türe hängt. Dazu hat der schöne deutsche Ausdruck Fachkräftemangel gute Chancen, zum Wort des Jahres gekürt zu werden.
Aber dann gibt es da diese verstörenden Videos vom Besuch der Kanzlerin in einem sächsischen Flüchtlingsheim, in denen Merkel in der Gossensprache wie irre beschimpft wird. Dunkelland.
Warum also dieser Aufstand der Unanständigen? Weil vieles in der Debatte irrational ist. So wie dieses Beispiel: Am Freitag spielt die deutsche Fußball-Nationalelf gegen die Auswahl Polens. Dann werden sie den Khediras, den Özils, den Boatengs, den Gündogans wieder zujubeln in Freital, in Heidenau, in Salzhemmendorf. Vielleicht hat Ilkay Gündogan, Spross türkischer Einwanderer, recht, wenn er sagt: „Wir können uns nicht mehr in Menschen reinversetzen, denen es nicht so gut geht. Das ist schade.“
Vielleicht sollte sich die Gesellschaft am Sport ein Beispiel nehmen. In kaum einem Bereich gelingt Integration so problemlos. Viele Vereine leisten vorbildliche Arbeit, sie sind ein Teil des Wurzelgeflechts, das dieses Land zusammenhält. Zum Dank werden die Ehrenamtlichen dort oft als Vereinsmeier belächelt. Auch hier muss Deutschland lernen.
Wenn nun für ein paar Wochen in manchen Schulen die Turnhallen beschlagnahmt werden, um Flüchtlingen wenigstens eine dürftige Unterkunft bieten zu können – na und? Vielleicht werden es auch Monate sein. Notlagen brauchen Notlösungen. In den Turnhallen haben die hilfebedürftigen Menschen zwar keine Intimsphäre, aber im herannahenden Herbst ein Dach über dem Kopf. Doch da regen sich schon Stimmen, es wird lamentiert über Sportstunden, die da wohl ausfallen werden für den betüttelten Nachwuchs, dessen Bewegungsdrang sich sonst oft nur im iPhone-Daddeln erschöpft. Wo bleibt denn der Aufschrei, weil seit vielen Jahren der Sportunterricht im deutschen Schulwesen kaputt gemacht wird, die Stunden als Verfügungsmasse herhalten und bisweilen von Lehrern verrichtet werden müssen, denen selbst schon bei einem Liegestütz die Luft ausgeht? Still ruht der See.
In der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“ sind, in Anspielung auf die Worte von Bundespräsident Joachim Gauck, zwei Titelbilder zu sehen. Das eine zeigt das bunte Deutschland, das helle. Das andere das dunkle. Unsere Gesellschaft steht an einem Scheideweg, und – so scheint es – die Nächte werden länger. Die Hoffnung liegt im Morgen: Da geht die Sonne auf. Hell wie eh und je.