Mit viel Kreativität ist die Zivilgesellschaft an Pfingsten in Stammheim den Neonazis entgegengetreten, die sich in ihrer Gemeinde breitmachen. Dass trotz besten Ausflugswetters weit über 1000 Menschen beim Gottesdienst in der Dorfmitte ihre Solidarität mit dem 850-Einwohner-Dorf zeigten, ist ein bemerkenswertes Zeichen gegen den braunen Ungeist.
Dennoch bleibt nach diesem Sonntag auch Unbehagen. Bürgermeister Horst Herbert und die Initiative „Stammheim ist bunt“ hatten dazu aufgerufen, den Rechten beim abendlichen Marsch durch das Dorf die kalte Schulter zu zeigen. Das ist gelungen. An vielen Häusern waren die Rollos runtergezogen, nur wenige Einheimische waren auf der Straße. Begleitet von einem massiven Polizeiaufgebot zogen die Nazis fast zwei Stunden durch das Winzerdorf. Eine gespenstische Situation. Das Signal „Wir schenken euch keinerlei Beachtung“ ist angekommen – einerseits. Anderseits könnten die Rechten den Rückzug der Zivilgesellschaft auch als Einladung betrachten, sich ungehindert auszubreiten. Und das ist kein gutes Signal. Für Stammheim nicht – und auch für sonst keinen Ort in Deutschland.
Ein Dilemma, in dem der demokratische Rechtsstaat da steckt. Dem ist nicht leicht zu entkommen. Patentlösungen für den Protest gibt es nicht. Schon gar nicht, wenn man der Überzeugung ist, dass eine Demokratie es ertragen muss, auch ihre Feinde mit menschenverachtender Propaganda zu Wort kommen zu lassen. Das ist schwer auszuhalten. Dagegen hilft, dass die Demokratie sich wehrhaft zeigt und für ihre Werte offensiv eintritt, wo immer es geboten ist.
Die Frage nach dem Wie stellt sich nach Stammheim weiter – so wie sie sich in Oberfranken regelmäßig beim sogenannten Heß-Gedenken stellt oder beim Versuch der Rechten, die Erinnerung an die Bombardierung deutscher Städte für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, in Dresden oder in Würzburg. Fantasie ist beim Widerstand gefragt, da haben die Stammheimer und ihre Nachbarn zuletzt Beispielhaftes geleistet. Kommunen, Schulen, Vereine und Verbände haben jeder nach seinen Möglichkeiten Resolutionen verabschiedet, Plakate gemalt, „rechte Lehrpfade“ gestaltet, „braune Tonnen“ aufgestellt.
Jede einzelne Aktion ist wichtig, in der Summe wirken sie erst richtig. Und so dürfen die Stammheimer auch dankbar sein, dass drei Dutzend junge Antifa-Vertreter und ihre Unterstützer aus Würzburg und Schweinfurt mit ihren Mitteln – Pfiffen und „Nazis raus“-Rufen – Flagge gezeigt haben, als die „Rechte“ ihren Parteitag startete. Dass sie ihr Missfallen auch am Abend zum Auftakt des Neonazi-Aufmarschs deutlich kundtaten und versuchten, Straßen zu blockieren und sich so den Rechten in den Weg zu stellen. Dieser friedliche (!) Widerstand ist genauso notwendig wie der der Gottesdienstbesucher, auch wenn er für die Polizei und die Behörden gewaltigen Aufwand bedeutet, auch wenn er viel Geld kostet. Die Demokratie muss es uns allen wert sein.
Dies zu erkennen, die ganze bunte Vielfalt des Protests zu akzeptieren und zu vereinen, das bleibt die Aufgabe der Zivilgesellschaft, wo immer Nazis aktiv sind. Die Eröffnung der Parteizentrale war erst der Anfang in Stammheim. Im Winzerdorf – aber nicht nur dort – wird man sie noch alle brauchen, die Demokraten jeder Couleur.