Die Worte des Kardinals gingen beinahe unter. „Franziskus will, dass wir neue Wege gehen“, sagte jüngst der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann. „Manchmal muss man nicht erst darauf warten, bis sich der ganze große Tanker in Bewegung setzt“, fügte er hinzu. Der große Tanker – damit könnte Lehmann die schwerfällige römische Kurie gemeint haben oder den agilen Mann auf dem Stuhl Petri. Franziskus hat in den dreieinhalb Jahren an der Macht viel in Bewegung gesetzt. Wenn dann, wie jetzt, vorübergehend Ruhe einkehrt, kommt rasch die Frage auf: Hat der bald 80 Jahre alte Papst sich schon verausgabt?
Als am Sonntag das „Jahr der Barmherzigkeit“ zu Ende ging, hatte der Papst 17 neue Kardinäle ernannt, von denen 13 noch unter 80 Jahre alt sind und im nächsten Konklave wahlberechtigt wären. Sie alle stehen im Ruf, als Pastoren ein Ohr für die Anliegen der Gläubigen zu haben. Franziskus stellte damit die Stellschrauben für die Zukunft der katholischen Kirche, denn die insgesamt etwa 120 wahlberechtigten Kardinäle wählen schließlich eines Tages seinen Nachfolger.
Endete mit dem Heiligen Jahr auch der päpstliche Aktionismus?
Doch in Rom wird die Frage lauter, ob mit dem Heiligen Jahr auch die Phase des päpstlichen Aktionismus zu Ende geht. International ist der Vatikan zwar präsent, das zeigen die päpstlichen Initiativen für Friedensverhandlungen in Ländern wie Kolumbien oder seine ökumenischen Begegnungen. Innerkirchlich ist die Lage aber komplizierter.
Der Streit bei den Familiensynoden 2014 und 2015 ist auch nach der Veröffentlichung des päpstlichen Schreibens „Amoris Laetitia“ nicht abgeebbt, im Gegenteil. Vor Kurzem veröffentlichten vier Kardinäle einen Protestbrief gegen den Papst. „Wir haben eine ernste Verunsicherung vieler Gläubiger und eine große Verwirrung festgestellt“, schreiben die Kirchenmänner. Dass Franziskus in „Amoris Laetitia“ eine Abkehr von der bisherigen Lehre im Umgang mit wieder verheirateten Geschiedenen andeutet, kommt für sie einem Verrat am Evangelium gleich.
Unter den Inquisitoren sind zwei Deutsche – Walter Brandmüller sowie der ehemalige Kölner Erzbischof Joachim Meisner. Weil der Papst auf den im September im Vatikan abgegebenen Brief aber bisher nicht antwortete, machten die als besonders konservativ bekannten Kardinäle ihr Schreiben „aus tiefer pastoraler Sorge“ jüngst öffentlich. In einem Interview mit der Zeitung „Avvenire“ warf Franziskus als Reaktion seinen Kritikern „Rigorismus“ vor. Historiker hätten gesagt, „dass ein Konzil ein Jahrhundert braucht, um gut in den Körper der Kirche aufgenommen zu werden. Wir sind auf halbem Weg“.
Die Gräben in der katholischen Kirche sind tiefer geworden
Franziskus deutete damit an, dass der Weg zu greifbaren Reformen noch lange dauern kann. Die Familiensynode brachte nicht das von ihm erwünschte Ergebnis, stattdessen sind die Gräben in der Kirche tiefer geworden. Päpstliche Initiativen zur Lockerung des Zölibats hätten Sprengkraft, die Franziskus derzeit nicht lieb sein kann. Der Frage des Priestertums für Frauen erteilte der Papst jüngst eine klare Absage. Das von Franziskus gewählte Bild von der „Kirche als Feldlazarett“, die sich eigentlich barmherzig der verwundeten Seelen annehmen soll, kann man heute auch anders verstehen: Die katholische Kirche leckt sich selbst die Wunden.
Erst in zwei Jahren steht mit der Synode zum Thema „Jugend, Glaube und Berufung“ das nächste kirchliche Großereignis an. Das Thema berührt auch die Frage, welche Rolle Laien, Frauen oder verheiratete Männer in der Kirche spielen könnten. Die für die Kirche explosive Frage des Diakonats der Frauen hat Franziskus einer Kommission anvertraut. Mit Ergebnissen ist nicht rasch zu rechnen. Franziskus-Anhänger wie Karl Lehmann sind deshalb besorgt, der Schwung der Reformen könnte verpuffen, wenn die Bischöfe nicht die vom Papst geschaffenen Räume nutzen.