Es ist ja nun nicht so, dass es auf der Bühne der Weltpolitik gerade besonders ruhig wäre. Der Ukrainekonflikt eskaliert in ungeahnter Schärfe, die Kämpfe im Gazastreifen flammen auf mit neuer Vehemenz. Aber natürlich findet Bundeskanzlerin Angela Merkel zwischen Europagipfel und Berliner Tagesgeschäft die Zeit, um die überraschende Entwicklung in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu kommentieren. Jener Elf, der sie in diesen seligen WM-Tagen so leidenschaftlich nahe war, dass manche glaubten, „Mutti“ gehört dazu und nimmt am Abend die schmutzigen Trikots zum Waschen mit nach Hause.
Kapitän Philipp Lahm also ist aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, und die Kanzlerin führt die Riege jener Prominenten quer durch die Gesellschaft an, die Ehrerbietungen in Richtung München schickten. Ein Detail, das die gleichermaßen riesige Aufmerksamkeit und Beliebtheit dokumentiert, die dem Fußball seit dieser wunderbaren WM in Brasilien widerfährt. Philipp Lahm war ja auch einer dieser sympathischen Vorzeigekicker, denen ein Land zu Füßen liegt: Adrett, nett, stets ordentlich frisiert. „Ich möchte die Gelegenheit nutzen, ihm meinen großen Respekt auszusprechen für das, was er für die Nationalmannschaft getan hat“, ließ Angela Merkel also mitteilen.
Ja, was hat er getan?
Sehr viel. Philipp Lahm, 30, war über ein Jahrzehnt lang der konstanteste deutsche Nationalspieler. Der gebürtige Münchner war ein Synonym für Leistung. Wenn Lahm schlecht spielte, war er immer noch gut. Insofern ist er als Einzelner in hohem Maße mitverantwortlich für die Erfolge seiner Teams FC Bayern wie Nationalelf in der Mannschaftssportart Fußball.
Aber nehme nur keiner das Image vom netten Schwiegersohn-Typ zu ernst: Philipp Lahm ist extrem ehrgeizig, und machtbewusst, das ist er auch. Ein glänzender Stratege zudem, der kritische Interviews gab, wenn er es für nötig hielt und auch die Geldstrafe danach nicht scheute, weil er gegen den Ehrenkodex verstoßen hatte. Der Erfolg gab ihm immer recht. Als der damalige Kapitän der Nationalmannschaft, Michael Ballack, 2010 nach einem Foul mit einer schweren Verletzung die WM in Südafrika versäumte, füllte Lahm das Führungsvakuum – und gab die Kapitänsbinde nicht mehr ab. Es war Ballacks unfreiwilliges Ende im Nationalteam und der Beginn einer neuen Hackordnung. Das Wort von der flachen Hierarchie machte die Runde. Die Entwicklung führte zum Weltmeistertitel.
Dass Philipp Lahm nun auf dem Höhepunkt seiner Karriere nach 113 Einsätzen das Nationaltrikot auszieht, ist konsequent und passt zu seinem Wesen. Es zeugt von großer Stärke, selbst das Ende zu bestimmen und sich nicht irgendwann für einen Besseren auswechseln lassen zu müssen. Nur wenigen Athleten gelingt solch ein ehrenwerter Abgang, weil ihr Sport eben oft nicht nur ihr Beruf ist, sondern auch Berufung. Was gibt es Schöneres, als für sein Hobby reichlich entlohnt zu werden? Seinen Vertrag beim FC Bayern München hat er zwar gerade erst bis 2018 verlängert, aber auch da schon angekündigt, danach aufhören zu wollen.
Insofern nötigt die Entscheidung von Philipp Lahm Respekt ab. Die Nationalmannschaft verliert einen großen Spieler, und ein Wort von Angela Merkel ist damit sogar angemessen.