Ein kleiner Inselstaat im Mittelmeer. Das klingt ein wenig nach Lummerland, wo Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer lustig durch die Gegend sausen. Doch Zypern ist keine nette, harmlose Inselrepublik. Jahrelang wurden Milliarden von Anlegergeldern – gerne aus Russland – mit geradezu paradiesischen Konditionen an Land gezogen, Zypern feierte sich als internationaler Finanzplatz. Damit ist es nun vorbei, die Rechnung aber wird teuer – egal, wer am Ende zahlt.
Doch all das ist nur eine Momentaufnahme. Das, was alle „die Krise“ nennen, es ist längst der Normalzustand geworden: Überschuldete Staaten kämpfen ums Überleben und die Finanzhaie zocken einfach weiter. Auch wenn im deutschen Alltag wenig davon zu spüren ist – ob in Nikosia, Athen oder Madrid, europaweit gehen Menschen Tag für Tag auf die Straße und schreien ihren Zorn gegen eine aus dem Lot geratene Welt hinaus.
Der Publizist Dirk Kurbjuweit hat es vor einiger Zeit im „Spiegel“ auf den Punkt gebracht: Ein völlig außer Kontrolle geratener, „ruchloser Kapitalismus“ tanze den ohnmächtigen Demokratien auf der Jagd nach immer höheren Profiten auf der Nase herum. Das Motto der gierigen Jünger dieses gnadenlosen Kapitalismus, so Kurbjuweit: „Egal, was mit der Welt passiert, Hauptsache mein Bonus ist siebenstellig.“
Wie konnte es so weit kommen? Kapitalismus in Reinform ist auf die Steigerung der gesellschaftlichen Ungleichheit ausgerichtet: Will ich mehr verdienen, müssen andere dafür bezahlen, das ist seine Logik. Gesetze, Moral oder Gerechtigkeit – das sind keine Maßstäbe des Kapitalismus. Seine Währung heißt Geld. Seine Tugend ist die Gier.
Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Kommunismus plötzlich eine starke gesellschaftliche Alternative zu den westlichen Demokratien entstand, wurde der Kapitalismus für einige Jahrzehnte maßvoll. In Deutschland etablierten sich der rheinische Kapitalismus und die soziale Marktwirtschaft. Kapitalismus funktioniert damals noch auf Basis der Produktionswirtschaft. Dies sorgte für starke Gewerkschaften, die gemeinsam mit einer am Gemeinwohl interessierten Politik die Bestie zähmen konnten.
Dann aber zerfiel Ende der 80er Jahre der Kommunismus. Plötzlich konnte der Kapitalismus – die Bedrohung durch ein alternatives Gesellschaftssystem war ja verschwunden – frei schalten und walten, wie er wollte. Da zeitgleich die moderne Kommunikationstechnik die Märkte virtuell und rasend schnell werden ließ, begann der Siegeszug des globalen Finanzkapitalismus.
Wohin dieser Weg geführt hat, das erleben wir nun. Es kann für Europas Demokratien so nicht weitergehen. Doch die Politik alleine ist machtlos. Es braucht also tatsächlich einen gesellschaftlichen „New Deal“, ein Abkommen für ein neues Europa: Sparergeld gegen die Gier der Spekulanten. Ja, es wird nicht mehr anders gehen – wir müssen uns wohl oder übel freikaufen. Da lagen die EU-Finanzminister mit ihren Plänen für Zypern gar nicht so falsch.
Alleine die Deutschen besitzen ein Nettogeldvermögen von fast fünf Billionen Euro, in der Eurozone sind es viele weitere Billionen. Ein kleiner Teil davon würde reichen, um die Schulden zu reduzieren, das Finanzsystem umzubauen und Hedgefonds und andere Finanzraubritter vor die Tür zu setzen.
Es wäre die Vertreibung aus dem Paradies. Denn ein Europa ohne Finanzkapitalismus wäre das Paradies.