Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Meinung
Icon Pfeil nach unten
Leitartikel
Icon Pfeil nach unten

Mindestlohn auf Erfolgskurs

Leitartikel

Mindestlohn auf Erfolgskurs

    • |
    • |

    2015 wurde in Deutschland gegen Widerstände vieler Unternehmer der Mindestlohn eingeführt. Was hat er gebracht? Darüber sprachen wir mit der parlamentarischen Staatssekretärin im Arbeitsministerium, Anette Kramme. Sie hat das Mindestlohngesetz mitgestaltet.

    FRAGE: Wirtschaftswissenschaftler haben vor seiner Einführung vorhergesagt, der Mindestlohn werde Hunderttausende Jobs vernichten. Hat sich diese Vorhersage bewahrheitet?

    Anette Kramme: Absolut nicht. Ganz im Gegenteil. Es gibt zwar weniger Minijobs, aber dafür deutlich mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Tatsächlich sind von 240 000 weggefallenen Minijobs rund 100 000 in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführt worden. Fakt ist, dass sich insgesamt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit Dezember 2014 um 800 000 Menschen erhöht hat. Das ist natürlich genau das, was wir gewollt haben. Minijobs sind für Frauen – und es stecken ja überwiegend Frauen in den Minijobs – perspektivisch ungünstig.

    Der Konjunktur hat die Einführung des Mindestlohns 2015 also nicht geschadet?

    Kramme: So ist es. Und darüber sind wir sehr froh. Rückblickend muss man ja sagen, dass wir mit dem Mindestlohn ein gewaltiges Projekt in Angriff genommen haben, das immerhin zehn Prozent aller Beschäftigten betroffen hat. Mit dem Mindestlohn haben wir letztlich vier Millionen Arbeitnehmer erreicht – Deutschland hatte nach den USA den größten Niedriglohnsektor der industrialisierten Welt.

    Der Mindestlohn wurde ja auch mit Blick auf jene Arbeitnehmer eingeführt, die Vollzeit arbeiten und trotzdem so wenig verdienen, dass sie zusätzlich Sozialleistungen brauchen. Hat diesen Personen der Mindestlohn geholfen?

    Kramme: Bei dieser Personengruppe hat es nur leichte Rückgänge gegeben.

    Man hatte doch erwartet, dass gerade die Aufstocker profitieren würden.

    Kramme: Ja – wenn sie Singles sind. Mit dem Mindestlohn liegt ein Mensch knapp oberhalb der Grundsicherung. Hat man eine Familie zu ernähren, reicht der Mindestlohn in vielen Fällen nicht. Man muss sich aber trotzdem vor Augen halten, was für einen großen Schritt wir mit dem Mindestlohn gegangen sind.

    Nachweisbar haben zahlreiche Firmen versucht zu tricksen, um die Zahlung des Mindestlohns zu umgehen. Welche Lohndumping-Strategien wenden Arbeitgeber an?

    Kramme: Arbeitgeber legen den Arbeitnehmern einfach neue Verträge vor. Das kommt vor und ist formal legal. Diese neuen Verträge haben eine reduzierte Stundenzahl, so dass man im Endergebnis beim gleichen Lohn bleibt. Der Trick an der Sache ist der, dass die Arbeitnehmer trotz einer reduzierten Stundenzahl das gleiche Aufgabenpensum wie vorher erledigen müssen. Was bedeutet, dass sie entweder extrem schnell arbeiten oder unbezahlt nacharbeiten.

    Können die Mitarbeiter dagegen nichts machen?

    Kramme: Leider haben vielfach Arbeitnehmer bei der Vertragsänderung nicht gewusst, dass sie die Verträge nicht hätten unterschreiben müssen. Wenn sie es aber getan haben, kommt man da nicht ran. Da gibt es keine Handlungsmöglichkeit.

    Gibt es Branchen, in denen öfter getrickst wird als anderswo?

    Kramme: Vom Taxigewerbe hören wir, dass Fahrer angewiesen werden, Wartezeiten nicht als Arbeitszeiten zu rechnen. Was Unsinn ist, denn dass wartende Taxifahrer dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, ist klar. Friseure etwa werden in die Scheinselbstständigkeit gedrängt, wo sie nicht dem Mindestlohn unterliegen.

    Nach der Einführung des Mindestlohns haben sich viele Firmen mit der Vergabe von Praktika zurückgehalten – aus Angst, gerade Langzeitpraktikanten Mindestlohn zahlen zu müssen. Ist das noch so?

    Kramme: Was wir wirklich nicht mehr wollten, war eine „Generation Praktikum“. Deshalb werden Praktikanten nach dem Mindestlohngesetz wie Arbeitnehmer behandelt, die Anspruch auf Mindestlohn haben. Allerdings gibt es Ausnahmen, für Schüler und Studenten etwa und für die Zeit der Orientierung zwischen Schule und Beruf. Aber die Möglichkeiten, Praktikanten gezielt auszunutzen, haben wir stark zurückgefahren. Manche Firmen haben vorher zum Beispiel Einarbeitungszeiten als Praktika deklariert – das geht nicht mehr. Dann Einarbeitungszeiten sind reguläre Arbeitszeiten. Bei den Klagen über den Rückgang von Praktikumsmöglichkeiten muss man wissen, wieviel Missbrauch da getrieben wurde.

    Fälle von Mindestlohnverstößen oder sittenwidriger Entlohnung aufzuklären, ist Sache der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Ist die Behörde personell gut genug aufgestellt?

    Kramme: Wir haben ja nicht nur die dem Zoll zugehörige Finanzkontrolle Schwarzarbeit, wir verlassen uns ja auch auf andere Behörden. Etwa die Jobcenter oder die Rentenversicherung, die im Gesetz als „Zusammenarbeitsbehörden“ genannt sind. Diese Behörden müssen melden, wenn ihnen etwas auffällt. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit untersucht vor allem die sogenannten Risikobranchen: die Gastronomie etwa und Wach- und Sicherheitsdienste, den Einzelhandel, die Fleischwirtschaft. Grundsätzlich der ganze Dienstleistungsbereich, in dem viele Frauen arbeiten.

    Hat die Finanzkontrolle genug Personal?

    Kramme: Alle Branchen, alle Firmen können nicht kontrolliert werden. Das läuft stichprobenartig. Gerade hat die Finanzkontrolle Schwarzarbeit 33 000 Menschen im Einzelhandel kontrolliert. Dabei wurden ausländerrechtliche Verstöße, Leistungsbetrug, Urkundenfälschung und das Vorenthalten von Sozialversicherung festgestellt. In den nächsten Jahren wird die Behörde wachsen; es werden 1600 neue Beamte dazukommen, die gerade ausgebildet werden.

    Der Mindestlohn soll laut Gesetz alle zwei Jahre angepasst werden. Wird er also zum 1. Januar 2017 steigen?

    Kramme: Ja. Branchenübergreifend wird der Mindestlohn ab dem 1. Januar 8,84 Euro betragen. Einige wenige gesetzlich festgeschriebene Ausnahmen gibt es noch – etwa die Zeitungszusteller. Aber auch sie müssen ab 1.Januar 2017 8.50 Euro kriegen und ab 1. Januar 2018 dann den regulären Mindestlohn von 8.84 Euro.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden