Sehr geehrter Herr Schröder, ich dachte eigentlich nicht, dass ich mich noch mal groß mit Ihnen beschäftigen würde. Aber: Manchmal kommt es eben anders. Oder „Sag niemals nie“, wie James Bond sagt. Warum mir jetzt gerade James Bond einfällt? Liegt doch auf der Hand: Geheimagent 007 steht seit seiner Erfindung für eine klare Gegnerschaft zu Russland.
Und damit sind wir beim Thema. Russland. Oder wie es „Der Spiegel“ vor Jahren umschrieben hat: Es geht um die „Verrubelung“ Ihres Rufes. Deswegen dieser Brief. Ich fand es moralisch schon bedenklich, als Sie so kurz nach der Wahlniederlage gegen Angela Merkel anfingen, für den russischen Konzern Gazprom zu arbeiten.
Und ich finde es mehr als fragwürdig, beim russischen Ölkonzern Rosneft einsteigen zu wollen. Sie wollen Aufsichtsrat bei einem Unternehmen werden, das mit EU-Sanktionen belegt ist, seit Russland die Krim annektiert hat? Ihr Ernst?
Lassen wir mal außer Acht, dass dieses Engagement für einen russischen Konzern so kurz vor der Bundestagswahl der SPD schaden könnte: In eine Firma einsteigen, gegen die die EU Sanktionen ausgesprochen hat. Geht Ihnen das nicht gegen die Ehre?
Sind Sie da mit Ihrem Gewissen im Reinen? Oder bügeln Sie Einwände einfach ab, in guter alter Basta-Kanzler-Manier? Kommen da wieder der Auto-Kanzler und der Brioni-Kanzler raus?
Zu große Nähe zur Wirtschaft, zu den Bossen, haben Ihnen damals während Ihrer Kanzlerschaft viele vorgeworfen. Die Werbekampagne für den italienischen Herrenschneider Brioni kam nicht besonders gut an. Niemand missgönnt Ihnen gute Anzüge, trotzdem muss man für seinen Schneider nicht gleich das Hochglanz-Model spielen. Wer so etwas macht als Bundeskanzler, ist offensichtlich auch anfällig für Job-Angebote aus dem Kreml.
Ehre, der Begriff ist etwas aus der Mode gekommen, gerade in der Politik. Wie könnte man Ehre heute definieren? Als den Maßstab, nach dem man sein Verhalten im Zusammenspiel mit den Grundwerten absteckt? Als so eine Art Gewissenskompass? Als etwas, auf das man sich selbst verpflichtet, worauf man aber auch verpflichtet werden kann? Dann wäre ein bisschen mehr Ehrgefühl ganz gut. Auch in Sachen Geldverdienen als Altkanzler. Aber es geht nicht nicht nur um Ehre. Es geht um Verantwortung. Es geht um ein klares Bekenntnis zu dem, wofür Wladimir Putin und die vom Kreml gesteuerten Konzerne eben nicht stehen: für Demokratie. Diese Leute stehen nicht mal für ein bisschen Demokratie, da hilft es auch nicht, wenn man Putin mal eben zum „lupenreinen Demokraten“ befördert, so wie Sie das 2004 getan haben.
Klar, viele Spitzenpolitiker wechseln nach dem Ende ihrer vom Wähler auf Zeit verliehenen Macht in die Wirtschaft. Bestimmt auch, weil sie es einfach nicht aushalten ohne die Wertschätzung, die Rituale, die Privilegien, den Status als Alpha. Da kommt man dann offenbar auf komische Ideen.
Man kann aber auch was ganz anderes machen: zum Beispiel beim Häuserbauen für Arme helfen wie der amerikanische Ex-Präsident Jimmy Carter. Bringt einen halt in der Welt der Schönen und Reichen nicht weiter. Humanitärer Einsatz gibt eben nur Karma-Punkte. Die kann man blöderweise nicht in diesseitigen VIP-Bereichen einlösen. Deswegen scheint dergleichen Gefühlsduselei auch nicht Stil von Oligarchen-Freunden und Putin-Kumpeln zu sein. Oder von Ex-Brioni-Auto-Basta-Kanzlern.
Aber nur, weil es viele machen, ist etwas noch lange noch nicht gut. Und wenn einer sich – wie Sie damals als Regierungschef – für eine Ostsee-Pipeline einsetzt, die seinem späteren Arbeitgeber ziemlich wichtig ist, dann darf das den Umstehenden durchaus seltsam vorkommen. Und auch wenn es rechtlich unanfechtbar ist, ethisch einwandfrei muss es deshalb noch lange nicht sein.
Ich war erleichtert, fast ein bissschen euphorisch, als Sie damals Kanzler wurden 1998. Ein bisschen Weltläufigkeit, Charme (wenn auch hemdsärmelig), das war ganz was anderes als Helmut Kohl und seine Strickjacken und sein geliebter Pfälzer Saumagen. Heute würde man das wahrscheinlich den Schröder-Effekt nennen. Der ließ uns Deutsche auch auf dem internationalen Parkett deutlich weniger spießig rüberkommen. Auch mal eine schöne Abwechslung.
In diesen Tagen, ein paar Wochen vor der Bundestagswahl, dürfte der Schröder-Effekt in der SPD eher gefürchtet sein. Auch wenn's zwischen Ihnen und der Partei nie die ganz große Liebe war – was übrigens traditionell für jeden SPD-Kanzler gilt –, ein bisschen Rücksicht wäre vielleicht nicht ganz unangebracht. Auch, was die Folgen für den eigenen Ruf angeht.
Oder möchten Sie als Rubel-Gerd in die Geschichtsbücher eingehen?
Mit freundlichen Grüßen
Susanne Wiedemann, Redakteurin
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