Endlich Platz, endlich Ruhe, endlich Zeit für sich. Wenn Kinder „flügge“ werden und ihr Elternhaus verlassen, blühen manche Eltern richtig auf – andere versinken in Trauer und Trennungsschmerz. In der Wissenschaft heißt das Phänomen Empty Nest, also „leeres Nest“. Professor Klaus Mühlfeld hat es erforscht.
Frage: Wieso trauern Eltern beim Auszug ihrer Kinder?
Claus Mühlfeld: Das Haus ist leer. Plötzlich steht wieder die Ehe im Mittelpunkt. Man stellt fest: Die Basis unserer Gemeinsamkeiten ist ganz schön ausgedünnt.
Was sind die Folgen?
Mühlfeld: Im schlimmsten Fall die Trennung der Eltern. Mit dem Eintritt in diese Phase nimmt statistisch die Scheidungshäufigkeit zu. Ab 20 Ehejahren und länger ist das der häufigste Trennungsgrund.
Wann beginnt das Syndrom?
Mühlfeld: Das hängt davon ab, wonach sich die Partner während ihres Elterndasein ausrichten. Wenn die Frau ihre Mutterrolle extrem lebt, wird sie es schwerer haben, als wenn sie schon früh wieder angefangen hat, zu arbeiten.
Ist es ein reines Frauenproblem?
Mühlfeld: Nein. Aber das Leere.Nest-Syndrom trifft in den meisten Fällen Frauen. Auch in nicht-ehelichen Gemeinschaften machen doch meistens die Frauen den Haushalt und versorgen die Kinder.
Dann müsste das Phänomen im Zeitalter der Emanzipation doch eigentlich aussterben?
Mühlfeld: Nein. Wenn Kinder aus dem Haus sind, beginnt in jeder Ehe ein neuer Lebensabschnitt. Die Partnerschaft wird wieder mehr betont. Sie muss mit neuem Sinn versehen werden. Aber Achtung: Das kann keine einfache Reproduktion der Anfangsjahre sein. Man bleibt ja Eltern.
Was sind die Probleme?
Mühlfeld: Zum Beispiel die Frage, wie mit dem neugewonnenen Wohnraum umgegangen wird, wenn die Kinder weg sind. Gestalten wir um? Ziehen wir um? Das kann auch zur Krise führen. Zudem müssen beide Partner neue, andere Gemeinsamkeiten konzipieren. Also keine Familienausflüge mehr, sondern Partnerausflüge. Dann kann das Leere Nest auch zum Zweiten Frühling werden.
Also nur wer sich aufrafft, kann dem Syndrom entgehen?
Mühlfeld: Ja, und das ist auch dringend notwendig. Denn die Zeit, in der die Menschen nach dem Familienleben wieder zu zweit sind, steigt parallel mit der Lebenserwartung.
Was kann das Kind machen, um Eltern vor dem Syndrom zu schützen?
Mühlfeld: Das ist abhängig von seiner Nähe zu den Eltern. Es sollte auf Abstand bleiben, aber den Kontakt halten. Zum Beispiel durch Email oder Anrufe. Und man sollte bestimmte Regeln aufstellen: Also zum Beispiel feste Telefontermine, an denen man Probleme bequatscht. Man muss Eltern langsam daran gewöhnen, das man nicht immer physisch präsent sein muss. Also neue Kanäle finden, zur Kommunikation. Auf keinen Fall darf man die Verbindung zum Elternhaus abrupt abkappen.
Also lieber ein bisschen länger die Wäsche bei Muttern waschen lassen?
Mühlfeld: Ja, auf jeden Fall! Und sich aufeinander freuen am Wochenende. Und schon vorher telefonieren: Was würdest du denn gerne essen? Solche Sachen darf man nicht falsch einschätzen. All das erleichtert den Prozess.
Und man bleibt auf Grand Hotel Mama hängen...
Mühlfeld: Dann haben beide Seiten ein Problem. Die Kinder schaffen die Abnabelung nicht und die Eltern bekommen keine Chance, sich als Ehepaar wieder neu zu definieren.
Haben ältere Eltern ein größeres Problem mit dem Leeren Nest als jüngere?
Mühlfeld: Ja, sie haben das Problem, dass sie oft auch schon auf Hilfe der Kinder angewiesen sind. Da muss man versuchen, Eltern so weit wie möglich unabhängig zu machen. Sei es mit einer Vorrichtung für den leichten Einstieg in die Badewanne oder den Treppen-Lift. Hochmobile Ältere hingegen ziehen auch zu den Kindern nach.
Ist das denn dann gut oder schlecht?
Mühlfeld: Gut, solange es nicht mehr Nest wird. Getrennte Haushalte müssen schon sein. Also ganz klare Regeln. Viele Ältere wollen das aber auch gar nicht. Die wollen nur wissen: Jemand ist präsent, der im Notfall handeln kann.
Zur Person
Prof. Dr. Claus Mühlfeld Der 66-Jährige leitet den Lehrstuhl für Sozialpädagogik an der Universität Bamberg. Der Familienforscher beschäftigt sich seit 1990 intensiv mit dem Leeren Nest und der Verarbeitung bei Eltern und Kindern.