Der Konstanzer Felix Lutz (40) studierte Politikwissenschaften und öffentliches Recht. Seit zehn Jahren ist er EU-Beamter für das Europäische Parlament, wo er die Arbeit des Ausschusses für Internationalen Handel (INTA) unterstützt. Sein Spezialgebiet sind die Handelsbeziehungen mit den USA.
Frage: Wie ist der Verhandlungsstand bei TTIP?
Felix LUTZ: Wir stecken mitten in den Verhandlungen. Bisher haben 13 Verhandlungsrunden stattgefunden. Wir haben bereits eine klare Idee vom Umfang des Abkommens, welches aus ungefähr 25 Kapiteln bestehen soll. Die Positionen zwischen der EU und der USA liegen teilweise aber noch sehr weit auseinander. Das Ziel der Verhandler ist, dass bis zum Sommer für die meisten Bereiche Textvorschläge von beiden Seiten vorliegen.
Und wie sieht es bei Ceta, dem Freihandelsabkommen mit Kanada, aus?
Lutz: Bei Ceta sind die Verhandlungen abgeschlossen. Nach der politischen Einigung klären die Sprachjuristen noch einige Kleinigkeiten. Denn die Verträge werden in Englisch ausgehandelt, müssen dann aber noch in alle 24 EU-Amtssprachen übersetzt werden. Dieser Prozess nimmt relativ viel Zeit in Anspruch. Die nächste Etappe ist, dass die Kommission dem Rat den Vertragstext vorschlägt.
Sobald der Rat zustimmt, muss auch noch das Europäische Parlament zustimmen. Danach stellt sich die Frage, ob die Nationalstaaten noch zustimmen müssen, wie es Deutschland und Frankreich derzeit fordern oder ob der Vertrag exklusiv in die Kompetenz der EU fällt. Die Abstimmung im Europäischen Parlament wird vermutlich im Herbst stattfinden.
Wie hat Ceta das Problem mit den umstrittenen Schiedsgerichten gelöst?
Lutz: Die zunächst geplanten privaten Schiedsgerichte sollen durch öffentliche Gerichte mit transparenten Verfahren ersetzt werden. Die Richter sollen öffentlich von beiden Staaten ernannt werden. Diesen Vorschlag der Europäischen Kommission hat die neue Regierung in Kanada mit minimalen Änderungen so akzeptiert.
Kann Ceta als Blaupause für TTIP dienen?
Lutz: In gewisser Weise ja. Auch das EU-Handelsabkommen mit Südkorea, das seit 2011 in Kraft ist, dient als Vorbild. Sowohl TTIP als auch Ceta sind Abkommen der EU mit industrialisierten Rechtsstaaten. Aber die USA sind nicht Kanada und haben mehr Verhandlungsmacht. Deshalb wird TTIP nicht eins zu eins dem Ceta-Abkommen gleichen.
Wann könnten TTIP und Ceta in Kraft treten?
Lutz: Für TTIP würde ich keine Prognose wagen. Die Obama-Administration will die Verhandlungen noch in diesem Jahr abschließen. Das halte ich nicht für realistisch. Wenn Donald Trump amerikanischer Präsident wird, weiß niemand, was er machen wird. Hillary Clinton ist der europäischen Position eher zugeneigt. Im besten Fall könnte man sich 2017 oder 2018 einigen. Bei Ceta bin ich optimistischer. Das Abkommen könnte Anfang 2017 in Kraft treten.
Warum brauchen wir überhaupt das TTIP-Abkommen?
Lutz: Das Hauptanliegen eines Handelsabkommens ist, die Wirtschaftskraft zu fördern. Aber TTIP hat natürlich auch eine strategische Dimension, nämlich das Ziel, die transatlantische Zusammenarbeit in einem turbulenten internationalen Umfeld zu stärken. Das Abkommen könnte mehr Arbeitsplätze und mehr Wirtschaftswachstum erbringen. Die globale Wettbewerbsfähigkeit von Europa würde durch TTIP steigen: Die Produktivitätsgewinne durch TTIP für die zahlreichen Firmen, die auf beiden Märkten aktiv sind, könnten diese Unternehmen weltweit konkurrenzfähiger machen. Viele Handelshemmnisse, die letztlich auch den Konsumenten treffen, sollen abgebaut werden.
Viele Bürger befürchten durch TTIP eine Absenkung unserer Verbraucher- und Umweltstandards. Sind diese Sorgen berechtigt?
Lutz: Bislang gib es weit weniger Anlass zur Sorge als die öffentliche Debatte in Deutschland annehmen lässt. Die Kommission hat immer wieder bekräftigt, dass sie bei unseren Standards keine Kompromisse eingehen will. Das EU-Parlament hat in seinem Einschließungsantrag von Juli 2015 klar zum Ausdruck gebracht, dass es keinem Abkommen zustimmt, welches Standards senken würde. Natürlich würden die USA gerne in manchen Bereichen unsere Gesetzgebung ändern, um beispielsweise Hormonfleisch oder genveränderte Lebensmittel nach Europa exportieren zu können. Aber das steht weder für die Kommission noch für das Parlament zur Debatte.
Trotzdem existieren in der Bevölkerung Ängste vor TTIP. Ist da in der Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten etwas schiefgelaufen?
Lutz: Die Akteure auf der europäischen Bühne haben vielleicht das Interesse an der Handelspolitik unterschätzt. Mittlerweile findet man aber viele Informationen zu TTIP auf den Internetseiten der EU-Institutionen, inklusive Verhandlungstexte, welche die EU vorgelegt hat. Das war am Anfang nicht so. Das hat sicherlich zu einem gewissen Misstrauen geführt.
Könnte TTIP am öffentlichen Widerstand scheitern?
Lutz: Das ist nicht auszuschließen. Die öffentliche Debatte ist leider sehr polarisiert. Es geht hauptsächlich um die Frage, ob wir TTIP haben wollen oder nicht. Ich persönlich finde die Frage interessanter, welches TTIP wir haben wollen, also was genau in dem Vertragstext stehen soll.
Hat nicht der öffentliche Druck auch etwas Positives? Ist die Reform der Schiedsgerichte nicht auch der Kritik an den privaten Schiedsgerichten geschuldet?
Lutz: Ja. Durch öffentliche Diskurse lässt sich Politik verändern. Allerdings ist es für viele Bürger schwierig, sich ständig auf dem aktuellen Informationsstand zu halten, und es fordert rechtliches und ökonomisches Fachwissen, um Vorschläge qualifiziert bewerten zu können. Viele Abgeordnete im Handelsausschuss des Europäischen Parlaments haben sich ein breites Wissen in diesem Bereich erarbeitet.