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So viele Infos wie nie – aber wir wissen zu wenig

Leitartikel

So viele Infos wie nie – aber wir wissen zu wenig

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    Wie heißt noch gleich der neue Digitalminister? Wer schrieb den Roman „Die Pest“? Und wie lange sind die Quarantänezeiten für Kontaktpersonen? Wissen Sie nicht – oder haben Sie gerade nicht parat? Dann googeln Sie?s doch eben! Das Netz vergisst bekanntlich nichts und weiß alles. Dank der Digitalisierung und der Vernetzung der Welt ist so viel Wissen – oder präziser: sind so viele Informationen – für so viele Menschen so leicht verfügbar wie nie zuvor. Wir erleben eine Wissensrevolution, deren Veränderungspotenzial Historikerinnen und Historiker längst mit dem des Buchdrucks vergleichen.

    Vermeintliche Verfügbarkeit führt zu Entwertung

    Das ist eine großartige Errungenschaft, die es zu schützen gilt. Wissen befreit und stärkt. Wissen treibt die Wirtschaft an. Bis zu 80 Prozent des ökonomischen Wachstums gehen laut Europäischer Kommission auf neues oder verbessertes Wissen zurück. Wissen stärkt Demokratien. Das wird dort am deutlichsten, wo sich Herrscher davon bedroht fühlen, wo soziale Medien blockiert und Informationen im Internet zensiert werden. Bei all den Problemen und Herausforderungen, die die Wissensrevolution in Form von Fake News, von Hassrede und überfordernden Informationsströmen mit sich bringt: Niemand wünscht sich zurück in die Zeit, als es stets nur die eine Wahrheit gab, die Pfarrer, Lehrer oder der einzige verfügbare TV-Sender verbreiteten. Eine Zeit, in der Wissen auf das beschränkt war, was man sich durch stupides Auswendiglernen in den Kopf prügelte.

    Doch wie so oft, wenn etwas im Übermaß vorhanden ist, führt die vermeintlich ständige Verfügbarkeit von Wissen auch zu seiner Entwertung. Ganz einfach und binnen Sekunden lässt sich nach dem amtierenden Digitalminister (Volker Wissing, FDP) googeln, aber auch nach „Backofen anschließen“ oder nach „Ursache Kopfschmerzen“, nach „Infektionswellen modellieren“ oder „Wirksamkeit Corona-Impfstoff“. Die Antworten auf all diese Fragen sind da, nur einen Klick entfernt. Wofür braucht es da noch Fachleute? Sind Elektriker, Ärztinnen und Epidemiologen nicht längst überflüssig geworden? Welche Legitimation haben Journalisten und Politikerinnen? Wir alle kennen die Fakten doch längst, wir haben das im Internet gelesen. Wir tragen das Wissen der Welt in der Hosentasche herum und sprechen von Expertinnen und Experten nur noch in ironischem Unterton. Das lässt sich wunderbar an der Debatte rund um Corona-Regeln beobachten. Vor einigen Jahren warnten Soziologen vor einer Expertenherrschaft, die unkontrollierbar wird für das unwissende Volk. Doch so leicht lassen sich die Bürger nicht entmachten. Heute erscheint eine Herrschaft des gefährlichen Halbwissens als das weitaus realistischere und nicht weniger bedrohliche Szenario.

    Spezialisierte Kenntnisse und Fähigkeiten werden gebraucht

    Dabei liegt hier ein grundlegendes Missverständnis vor. Es lohnt sich, zwischen Wissen und Informationen zu unterscheiden. Sind Informationen die reinen verfügbaren Daten, so ist Wissen das, was entsteht, wenn diese Informationen sinnvoll weiterverarbeitet werden. Für diese Weiterverarbeitung aber, die mit der Unterscheidung zwischen zuverlässiger Information und Desinformation beginnt, braucht es spezialisierte Fähigkeiten und Kenntnisse. Es braucht das Wissen um Methoden, es braucht die Erfahrung in der Bewertung. Es braucht die Professionalisierung und Spezialisierung von Virologinnen und Arzneimittelforschern. Informationen gibt es im Überfluss, Wissen ist oft rar. Wir ach so aufgeklärten Bürgerinnen und Bürger täten gut daran, das anzuerkennen und echtes Wissen als die wertvolle Ressource wertzuschätzen, die es ist. Jeder kann alles googeln, aber niemand kann alles wissen.

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