Eines ist ganz klar: Die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln und in anderen Städten sind widerwärtig. Es darf nicht sein, dass in Deutschland rechtsfreie Räume entstehen, die alkoholisierte und enthemmte Kriminelle dazu nutzen, Frauen massiv einzuschüchtern und sexuell zu belästigen, mutmaßlich bis hin zur Vergewaltigung. Diesen Gewalttätern ist entschieden entgegenzutreten. Sie müssen mit aller Härte des Rechtsstaats verfolgt und zur Rechenschaft gezogen werden. Das wird schwierig genug angesichts der chaotischen Zustände in der Nacht und mit dem größer werdenden zeitlichen Abstand.
Die Ermittlungen haben erst begonnen, doch viele haben ihr Urteil bereits gefällt. Hass und Hetze überschwemmen die sozialen Netzwerke. Übereinstimmend hatten Zeugen der Kölner Vorkommnisse die Täter als junge Männer mit arabischem beziehungsweise nordafrikanischem Aussehen beschrieben. Die, die es schon immer gewusst haben, sehen sich in ihrem fremdenfeindlichen Weltbild bestätigt: Eine Horde von Männern arabischer Herkunft fällt über deutsche Frauen her. Die Flüchtlingsdiskussion wird angeheizt, die Vorfälle werden zum Flächenbrand erklärt.
Vorwürfe gegen die Medien
Dabei wäre gerade in der aufgeheizten Stimmung ein besonnener und differenzierter Umgang mit den Fakten angesagt. Vieles liegt nämlich noch im Dunkeln. Ja, wenn Köln – und zwar schon länger – rund um den Hauptbahnhof ein massives Problem mit kriminellen Banden hat, deren Mitglieder einen Migrationshintergrund haben, dann muss das benannt und dagegen vorgegangen werden. Andererseits gibt es aber laut der Kölner Oberbürgermeisterin derzeit keinen Hinweis, dass die Silvester-Täter Bewohner von Flüchtlingsheimen sind. Es waren auch nicht 1000 Gewalttäter. Laut Polizei haben verschiedene Gruppen junger Männer aus einer Menge von rund 1000 Menschen heraus die Übergriffe verübt. Hier soll nichts relativiert werden. Aber vor einer Bewertung der Ereignisse müssen die Fakten auf den Tisch.
Erneut stehen die Medien in der Kritik. Sie hätten viel zu spät über die Vorfälle in Köln und anderswo berichtet, um das ganze Ausmaß zu vertuschen und kleinzuhalten, so der Vorwurf. Diese Redaktion hat in der Tat erst am Montagnachmittag (Online) beziehungsweise Dienstag (Zeitung) über die Vorkommnisse informiert. Für uns steht die Region Mainfranken im Vordergrund und da gab es bedauerlicherweise andere, zum Teil schreckliche Ereignisse, über die aus der Silvesternacht berichtet werden musste.
Zudem war das Geschehen rund um den Kölner Hauptbahnhof anfangs ein rein lokales Vorkommnis, dessen Dimensionen erst im Laufe der Zeit deutlich wurden. Noch am Neujahrsmorgen hatte die Kölner Polizei von einer „entspannten Einsatzlage“ und zumeist friedlich verlaufenden Silvesterfeierlichkeiten berichtet. Nur die Domtreppe am Bahnhofsvorplatz hätte kurzzeitig geräumt werden müssen wegen der Gefahr einer Massenpanik aufgrund von Feuerwerksköpern, die in die Menge geworfen wurden. Im Laufe des Tages mehrten sich die Hinweise. Zu anfangs 15 Anzeigen wegen Diebstahl und sexueller Belästigung kamen immer weitere hinzu. Daraufhin stiegen am vergangenen Freitagabend und am Samstag auch die Kölner Lokalmedien in die Berichterstattung ein.
Quellen müssen verlässlich sein
Richtig groß wurde das Thema aber erst am Montagnachmittag mit der Pressekonferenz des Kölner Polizeipräsidenten. Dabei wurde das ganze Ausmaß der Vorkommnisse erkennbar. Köln wurde Top-Thema, bundesweit, und erst danach gab es auch Informationen über Vorfälle in Hamburg und Stuttgart, die bis dahin auch nur lokal verbreitet worden waren. Aufgabe der Redaktion ist es zu informieren, nicht zu spekulieren. Die Quellen müssen verlässlich sein. Facebook-Einträge sind das nicht.
Nun müssen die Sicherheitsorgane dafür Sorge tragen, dass sich solche Situationen wie die vor dem Kölner Hauptbahnhof nicht wiederholen. Es ist nach wie vor ein Rätsel, wie der Polizei die Kontrolle derart entgleiten konnte. Es war klar, dass die Gegend rund um den Hauptbahnhof zu einem Brennpunkt werden könnte. Warum trifft man dann offenbar so wenig Vorsorge? Warum zieht man nicht Kräfte zusammen, die auch eine größere Menschenansammlung unter Kontrolle bringen können? Fragen über Fragen. Sie müssen jetzt dringend beantwortet werden.
Das sagen die Twitter-Nutzer zu den Übergriffen:
#koelnhbf-Tweets