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„Von den alten Römern lernen“

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„Von den alten Römern lernen“

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    Der Brite Robert Harris zählt zu den international erfolgreichsten Politthriller-Autoren unserer Zeit. In seinem neuen Buch über Caesar und Cicero offenbart er heutige Gefahren für die Demokratie. Und spricht mit uns über die Flüchtlingskrise.

    Frage: Mister Harris, Sie gehören seit Jahren zu den weltweit erfolgreichsten Politthriller-Autoren. Was denken Sie, wenn Sie die dramatischen Bilder endloser Flüchtlingstrecks quer durch Europa sehen?

    Robert Harris: Mich schockieren diese Bilder. Ich habe großes Mitgefühl mit den Menschen, die auf der Flucht um die halbe Welt ziehen. Wir dürfen nicht ruhig dabei zusehen, wenn es eine Völkerwanderung mit Millionen von Menschen gibt. Sonst wird das schrecklich schiefgehen. Wir müssen viel mehr tun, dass es den Leuten in ihrer Heimat besser geht und ihr Leben dort erträglicher wird. Aber ich kann nicht so tun, als ob ich eine Lösung dafür hätte.

    Sie beziehen immer wieder aktuelle Positionen in Ihren Romanen. Wie beurteilen Sie als Brite die Politik von Kanzlerin Angela Merkel, die Grenzen für die Flüchtlinge zu öffnen?

    Harris: Ich glaube, Angela Merkels Entscheidung war ein Fehler, der die Probleme noch verstärkt hat. Das hat dazu geführt, dass Hunderttausende auf falsche Versprechungen von Menschenhändlern hereinfallen. Jetzt denken Millionen Menschen, dass Deutschland sie einlädt, nach Europa zu kommen. Ich kann den Briten nicht verübeln, wenn sie dieser Politik nicht folgen wollen.

    Auch in Ihrem neuen Buch „Dictator“, dem letzten Teil Ihrer Cicero-Trilogie über das alte Rom, geht es um Krieg und Flucht. Vor allem um das Ende der Römischen Republik und den Untergang der Demokratie für fast 2000 Jahre. Obwohl Sie sich akribisch an historische Fakten halten, wirkt Ihr Buch beklemmend aktuell. Was können wir aus dem alten Rom lernen?

    Harris: Die Römische Republik war wesentlich fortschrittlicher und ausgeklügelter, als viele Menschen heute denken. Beim antiken Rom denkt man heute an Imperatoren und Brutalität. Aber vor dem Kaiserreich war Rom eine sehr komplexe Art Demokratie, mit sehr vielen Wahlen und Volksabstimmungen.

    Senatoren, Konsuln, Richter, selbst der Verantwortliche für die Wasserversorgung wurden jährlich gewählt. Die Römer haben eigentlich die moderne Politik erfunden. Wir verwenden heute noch viele ihrer Begriffe wie Kandidat, Senat oder Plebiszit. Und auch die Gefahren für die Demokratie waren damals dieselben wie heute: Grundrechte für vermeintliche Sicherheit zu opfern, die Gefahren der Arroganz der Macht, der Einfluss der Finanzgrößen auf die Politik, Demagogen, die das Volk verhetzen – all das sind Facetten, die noch immer gültig sind. Die Römer wussten, dass Macht sehr vorsichtig verteilt werden muss. Wenn Macht zu lange ausgeübt wird, endet das immer als Desaster.

    In Ihrem Roman machen Sie die Leser zu Augenzeugen des Attentats auf Caesar. Statt eines großen Feldherren zeichnen Sie das Bild eines brutalen Diktators, zu dessen Taktik kühl kalkulierter Völkermord gehört. Haben wir ein falsches Bild von Caesar?

    Harris: Caesar war beides. Ein unglaublich brillanter Feldherr – er eroberte Gallien und marschierte in Großbritannien und Deutschland ein. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass zu Caesars Eroberungsfeldzügen der Völkermord an Hunderttausenden von Zivilisten zählte.

    Man kann in seinen eigenen Schriften nachlesen, wie sehr Terror Teil seiner Taktik war: Als am Ende des Gallien-Krieges die letzte gallische Garnison aufgab, ließ Caesar allen zweitausend Kämpfern, die sich ihm ergeben hatten, beide Hände abhacken. In der heutigen Zeit würden wir jemanden wie Caesar vor den Internationalen Strafgerichtshof für Kriegsverbrecher in Den Haag bringen. Und auch im alten Rom forderte seinerzeit sein Kritiker Cato, Caesar wegen brutalen Kriegsverbrechen an die Germanen auszuliefern.

    Sie erinnern daran, dass der Tyrannenmord ein Versuch war, die Republik zu retten. Aber Sie beschreiben aus heutiger Sicht ernüchternd, dass es nicht ausreicht, einen Diktator zu stürzen. Rom versinkt im Bürgerkrieg. Man denkt beim Lesen dabei unweigerlich an den Irak und Syrien.

    Harris: Natürlich wiederholt sich die Geschichte nicht exakt, aber sie folgt gleichen Regeln. Die Menschen haben sich binnen zweitausend Jahren seit dem alten Rom nicht groß verändert. Diese Zeitspanne ist nichts im Vergleich zur gesamten Menschheitsgeschichte. Es ist nicht überraschend, dass die Menschen Generation für Generation die gleichen Fehler machen. Auch bei Caesars Kriegen waren Hunderttausende auf der Flucht.

    Und schon damals waren die gewalttätigen Konflikte im Nahen Osten hochkomplex. Alle internationalen Interventionen in dieser Region endeten als Desaster. Das ist eine überdeutliche Lehre der Geschichte, was wir von den alten Römern lernen sollten.

    Warum lernen die Politiker noch zu wenig aus der Geschichte?

    Harris: Am meisten beunruhigt mich aus heutiger Sicht, dass schon in der Antike Freiheiten und Verfassungsrechte im Namen der nationalen Sicherheit aufgegeben wurden. Etwa zum Kampf gegen die Piraten – die Terroristen der damaligen Zeit. Erst auf diese Weise konnte Caesar zum Diktator aufsteigen. Deshalb ist für mich eine der wichtigsten Lektionen dieser Ära, an Freiheitsrechten und Gesetzen festzuhalten und bei Bedrohungen nicht in Panik zu verfallen und die Verfassung zu ändern.

    Fast alle Ihre Bücher drehen sich um Macht. In Ihrem Werk „Angst“ über die Bankenkrise prangern Sie die Macht der Finanzindustrie an. Wo sehen Sie die größten Gefahren für heutige Demokratien?

    Harris: Ich bedauere, dass unsere heutigen Politiker etwas langweilig sind. Das begünstigt den Aufstieg von radikalen Populisten. Am meisten beunruhigt mich aber, dass sehr viel Macht in Händen von Menschen ist, die nicht nur von niemanden gewählt wurden, sondern die auch völlig unsichtbar sind. Menschen mit ungeheuren finanziellen Ressourcen. Über dieses System, das der demokratischen Kontrolle entglitten ist, habe ich in „Angst“ geschrieben. Diese verborgenen Mächte, die man nicht sehen kann, machen mir mehr Angst als Figuren wie Wladimir Putin oder Baschar al-Assad.

    Robert Harris

    International bekannt wurde Robert Harris 1992 mit seinem Roman „Vaterland“, einem düsteren Gedankenspiel, wie Europa, bei einem Sieg Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, ausgesehen hätte. Nach dem Erfolg gab der 58-jährige Brite seine Journalistenkarriere auf und schrieb Bestseller wie „Enigma“ und „Aurora“.

    Für das Drehbuch seiner Romanverfilmung „Der Ghostwriter“ erhielt Harris mehrere Filmpreise. Nach seinem Historien-Bestseller „Pompeji“ begann der Autor seine Cicero-Trilogie: Nach „Imperium“ (2006), „Titan“ (2009) erschien jetzt der letzte Teil „Dictator“ (Heyne Verlag, 528 Seiten, 22,99 Euro). FOTO: Frantzesco Kangaris, dpa

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