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Würzburg: Warum wir die Nationalität von Verdächtigen oft nicht nennen

Würzburg

Warum wir die Nationalität von Verdächtigen oft nicht nennen

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    Im Frankfurter Hauptbahnhof stieß ein 40-Jähriger Ende Juli eine Mutter und ihren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden Zug.
    Im Frankfurter Hauptbahnhof stieß ein 40-Jähriger Ende Juli eine Mutter und ihren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden Zug. Foto: Frank Rumpenhorst

    Wann sollen Medien die Nationalität von Kriminellen erwähnen? Diese Frage beschäftigt Redaktionen immer wieder. Erst jüngst haben zwei spektakuläre Straftaten uns vor die schwierige Entscheidung gestellt: Herkunft nennen oder nicht?

    Im Frankfurter Hauptbahnhof hat ein 40-jähriger Mann Ende Juli eine Mutter und ihren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden Zug gestoßen. Der Junge wurde überrollt und getötet. Die Frau konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen. Nicht nur in Deutschland hat diese unfassbare Tat die Menschen entsetzt.

    In Stuttgart wurde ein 36-Jähriger öffentlich regelrecht hingerichtet. Der Täter stach mehrfach mit einem Schwert zu.

    Was sind das für Menschen, die zu derart grausamen Taten fähig sind? Wie weit geht der Anspruch der Öffentlichkeit, Details über die Beschuldigten zu erfahren? Steht ihre Herkunft in einem konkreten Zusammenhang mit dem Verbrechen? Nennen wir also die Nationalität der mutmaßlichen Täter oder nicht? Wir haben uns in beiden Fällen entschieden, die Staatsangehörigkeit der Tatverdächtigen zu nennen, da unserer Auffassung nach ein begründetes öffentliches Interesse vorgelegen hat.

    Was sagt der Pressekodex?

    Richtschnur für die Entscheidungen dieser Redaktion sind die journalistischen Leitlinien der Mediengruppe Main-Post. Sie orientieren sich am Pressekodex. Diese journalistisch-ethischen Grundregeln hat der Deutsche Presserat verfasst. Diesem Verein gehören die meisten Zeitungsverlage in Deutschland an.

    Die Richtlinien des Pressekodex beschäftigen sich unter anderem mit der Frage, wann die ethnische oder religiöse Identität eines Tatverdächtigen genannt werden kann. Unter Punkt 12.1. heißt es dazu: „In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

    Wann liegt ein begründetes öffentliches Interesse vor?

    Doch was genau ist ein „begründetes öffentliches Interesse“? Gemäß den Leitsätzen des Presserates kann dies ein „schwerwiegendes Verbrechen“ sein oder auch „die Existenz eines Haftbefehls“. Dann werde polizeilich nach jemandem gesucht, „und dann kann die Presse darüber berichten“.

    Unstrittig ist: Pure Neugier reicht als Begründung nicht aus, die Nationalität eines Verdächtigen zu nennen. Genauso wenig  wie „Vermutungen über den Zusammenhang der Gruppenzugehörigkeit und der Tat“. Auch wenn die Polizei die Nationalität erwähnt, entbindet das die Redaktionen laut Pressekodex-Leitlinien nicht von ihrer eigenen presseethischen Verantwortung.

    Welche Rolle spielt die Polizei?

    Für die Polizei gilt der Pressekodex nicht. Die Pressestellen nennen daher häufig die nationale Herkunft von Verdächtigen - ungeachtet der Frage, ob ein ausreichendes öffentliches Interesse im Sinne des Presserates vorliegt.

    Das nordrhein-westfälische Innenministerium hat jetzt mitgeteilt, künftig die Nationalität aller Tatverdächtigen nennen zu wollen, wenn diese zweifelsfrei feststehe. Innenminister Herbert Reul (CDU) begründet die angekündigte Vorgehensweise mit seiner "festen Überzeugung, dass diese Transparenz das beste Mittel gegen politische Bauernfängerei ist”.

    Der Deutsche Presserat begrüßt, „dass die Polizei der Presse die Information über die Nationalität von Tatverdächtigen zur Verfügung stellt”. Presseratssprecher Volker Stennei macht aber deutlich: „Die Entscheidung, ob die Nationalität für die Berichterstattung relevant ist, muss jede ethisch gebundene Redaktion sorgsam selbst abwägen und treffen. Das kann und darf keine Behörde entscheiden.”

    Dort, wo die Polizei sich direkt an die Bevölkerung wende, sei es ihre ethische Verantwortung, mögliche Folgen zu bewerten. „Das ist nicht Aufgabe des Deutschen Presserates”, betonte Stennei.

    Wieso stecken Journalisten in einem Dilemma?

    Journalisten geraten nicht selten in ein Dilemma, wenn Polizeipressestellen die Herkunft eines mutmaßlichen Täters öffentlich mitteilen - beispielsweise in den sozialen Netzwerken. Würde unsere Redaktion sich dem ohne überzeugende Begründung anschließen, widerspräche dies nicht nur unserem ethischen Selbstverständnis und der Richtlinie 12.1. des Pressekodex. Zugleich wäre es Wasser auf die Mühlen jener Leser, die darin berechtigterweise eine Diskriminierung sähen und sich deshalb mit einer Beschwerde an den Deutschen Presserat wenden.  Teilen wir das Herkunftsland eines Verdächtigen nicht mit, sehen wir uns indes mit dem Vorwurf konfrontiert, dem mündigen Leser Informationen vorzuenthalten. Dies wiederum schadet unsere Glaubwürdigkeit. 

    Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass es auch in Zukunft ein Balanceakt für uns bedeuten wird, einerseits die Leserinnen und Leser so umfassend wie möglich über Verbrechen zu informieren. Und andererseits nicht dazu beizutragen, dass eine Gruppe von Menschen durch einen Einzelfall pauschal diskriminiert wird.

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