Er ist streitbarer Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens – und damit Stammgast in großen TV-Talkshows. Wir sprachen mit dem Gründer der dm-Drogeriekette Professor Götz W. Werner über das Verhältnis von Arbeit und Einkommen – und die heutige Verteilung des Wohlstands.
Frage: Herr Werner, sind Sie eigentlich ein Pirat?
Götz W. Werner (lacht): Nein, jedenfalls wenn Sie einen politischen Piraten meinen.
Und jenseits der Politik?
Werner: Na, ich würde mal sagen: So ein bisschen piratenmäßig muss man ja schon sein, wenn man die Welt verändern will. Denn das heißt ja immer auch, etwas Neues zu versuchen, dass man in gegebene Strukturen eindringen und sie aufbrechen will. Das war auch so, als ich mein Unternehmen gegründet habe. Für die damaligen Strukturen war ich so eine Art Pirat.
Politisch gesehen sind Sie der Piraten-Partei aber zumindest beim Thema Grundeinkommen nahe . . .
Werner: Stimmt. Das ist eine Art Paradigmenwechsel, der uns kulturell und bewusstseinsmäßig herausfordert. Die Trennung von Arbeit und Einkommen – das ist eine echte Wende.
Wie würden Sie Ihre Idee des Grundeinkommens einem Außenstehenden erklären?
Werner: Das ist schwer zu erklären, weil es so leicht ist. Die Sache ist doch die: Wenn man arbeiten, also die Welt verändern will, muss man erst leben können. Früher hatte man dazu ein Stück Land – heute braucht man ein Einkommen. Ohne das können Sie in der heutigen Welt nicht leben. Also ist Einkommen die Voraussetzung, um überhaupt arbeiten zu können.
Klingt, ehrlich gesagt, ein klein wenig banal.
Werner: Ja. Ich habe viele Einstellungsgespräche geführt und musste mit den Bewerbern zunächst zu einer Einkommensvereinbarung kommen. Erst dann ging es um die Arbeit. Damals ist mir klar geworden: Das Einkommen ist nicht die Bezahlung der Arbeit – es ist die Voraussetzung fürs Arbeiten. Der Mitarbeiter kann seine Lebenszeit erst dann zur Verfügung stellen, wenn er ein Einkommen hat. Das gilt übrigens auch für unser Gespräch. Wenn etwa Sie selbst kein Einkommen hätten, könnten Sie es sich doch auch nicht leisten, mit mir dieses Interview zu führen. Das Interview selbst ist unbezahlbar.
Schön, dass Sie das so sehen.
Werner: Ja klar, wie wollen Sie das bezahlen?
Gut, reden wir übers Geld. Bei der Idee des Grundeinkommens sind ja 1000 Euro im Monat pro Person im Gespräch. Die würden den meisten Menschen dann aber wohl doch nicht reichen . . .
Werner: Müssen sie ja auch nicht. Die 1000 Euro sollten es jedem ermöglichen, ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Ganz im Sinne des Artikels 1 unserer Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Eine weitergehende Verpflichtung hat die Gesellschaft nicht. Sie muss Ihnen keinen hohen Lebensstandard ermöglichen.
Sie glauben nicht, dass viele Menschen es sich mit den 1000 Euro vom Staat gemütlich machen?
Werner: Nein, würden sie nicht. Der Mensch ist so veranlagt, dass er arbeiten will. Das hat Erich Fromm schon in den 60er Jahren beschrieben. Der Mensch ist kein Tier, das nur darauf wartet, etwas zum Fressen zu erhaschen. Der Mensch ist ein Tätigkeitswesen, hat Gestaltungswillen, will seine Spuren hinterlassen.
Das Grundeinkommen würde also gewährt werden ausschließlich mit der Voraussetzung, ein Bürger dieses Staates zu sein? Das würde aber wohl ziemlich viele Menschen nach Deutschland locken, oder?
Werner: Unser Land ist heute schon attraktiv und wir müssen entscheiden, wer zu uns gehört. Und jeder Zweite erhält heute schon Transferleistungen vom Staat. Hartz IV etwa ist auch ein Grundeinkommen, allerdings ein bedingtes. Und in Zukunft wäre es bedingungslos. Und dafür braucht es keine riesige Bürokratie.
Wer kommt für das Grundeinkommen auf?
Werner: Die zutreffende Frage ist: Wer produziert für uns? Wir leben ja nicht vom Geld, wir leben von den Gütern. Wenn Sie so wollen von der Realwirtschaft und nicht von den Finanzmärkten. Und wir verfügen über genügend Güter und Dienstleistungen. Wir waren noch nie so reich wie heute.
Ob auch jede Friseurin oder jeder Hartz-IV-Empfänger diesen allgemeinen Wohlstand so erleben?
Werner: Es geht hier nicht um subjektives Empfinden. Fakt ist: Wir haben längst genug für alle. Nun ist die Aufgabe der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass keiner zu kurz kommt. Und das würde ein Grundeinkommen sicherstellen.
Das dann aber auch der DAX-Vorstand bekommt . . .
Werner: Er kriegt es doch heute schon. Und zwar, indem er den Steuerfreibetrag in Anspruch nimmt. Der ist für jeden Steuerzahler wie ein Fenster, in dem er Einkommen erzielen kann, ohne dafür Abgaben an den Fiskus zu zahlen.
Bei Ihrem Konzept spielen Steuern eine große Rolle.
Werner: Steuern regeln die Verteilung der Wertschöpfung. Wir besteuern mit dem Einkommen noch wie in den Zeiten, als wir uns selbst versorgt haben. Aber wer heute arbeitet, leistet für andere und das sollten wir nicht belasten. In einer Zeit, in der wir uns gar nicht mehr selbst versorgen, wo das die ganze Welt tut, ist das antiquiert und setzt falsche Signale. Unsere Art, wie wir Steuern erheben, reduziert Initiative. Das zeigen die ganzen Fehlinvestitionen, die nur gemacht werden, um Steuern zu sparen. Was wir brauchen, ist eine reine Konsumsteuer. Alle Steuern werden nur verkalkuliert und am Ende zahlt sie der Verbraucher.
Hätten Sie dm gegründet, wenn es Anfang der 70er Jahre ein Grundeinkommen gegeben hätte?
Werner: Weil es keins gab, hätte ich dm fast nicht gegründet. Ich war damals Vater von zwei kleinen Kindern und hatte kein schlechtes Einkommen. Als ich da eines Tages nach Hause gekommen bin und gesagt habe, dass ich kündige und mich selbstständig mache, was glauben Sie, was da meine Schwiegereltern gesagt haben. Mit Grundeinkommen wär das nicht passiert, da hätten wir eine finanzielle Basis gehabt. Gerade in solchen Phasen hilft ein Grundeinkommen, Neues anzupacken und Initiative zu zeigen.
Götz W. Werner
Der Milliardär als Revolutionär: Professor Götz W. Werner (68) zählt zu den Exoten unter Deutschlands Unternehmern. Seine stets provokanten Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen haben den Gründer der Drogeriekette dm (heute über 2500 Filialen in elf Ländern) populär gemacht. 2008 zog sich Werner aus dem operativen Geschäft zurück und übergab seine dm-Unternehmensanteile in eine gemeinnützige Stiftung. Der gebürtige Heidelberger ist Gründer der Initiative „Unternimm die Zukunft“. FOTO: dpa/Text: md