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„Wir wollen Bürgersinn für Brüssel“

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„Wir wollen Bürgersinn für Brüssel“

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    Hubert Aiwanger, bayerischer Vorsitzender der Freien Wähler, während des Redaktionsgesprächs.
    Hubert Aiwanger, bayerischer Vorsitzender der Freien Wähler, während des Redaktionsgesprächs. Foto: FOTO Norbert Schwarzott

    Die Freien Wähler treten erstmals zur Europawahl an. Hubert Aiwanger, bayerischer Landeschef, war eine der treibenden Kräfte dafür. Im Interview erklärt er, warum das für die Freien Wähler wichtig ist.

    Frage: In Ihrem Europawahlkampf ist viel vom Kampf gegen die etablierten Strukturen, von gesundem Menschenverstand gegen Eurokratie die Rede. Das klingt nach den Galliern, die das Römische Reich herausfordern . . .

    Hubert Aiwanger: Das ist ein gutes Bild. Wir sind als Sprachrohr der Bürger und als Basisorganisation darauf aus, in Brüssel zurechtzurücken, was sich falsch etabliert hat – zu viel bürgerferne Politik etwa. Die heimischen Politiker verstecken sich hinter Brüssel, wenn sie Dinge zu Hause nicht gut verkaufen können. Ich nenne als Beispiele nur die Privatisierung der Daseinsvorsorge, etwa der Trinkwasserversorgung. Oder auch die Einführung der grünen Gentechnik. Da wird Brüssel vorgeschoben: Wenn man zu Hause unpopuläre Dinge durchsetzen will, geschieht das über Brüssel und man behauptet, man könne dagegen nichts machen. Das kann nicht sein, wir wollen den Bürgersinn auch in Brüssel etablieren.

    Gehen wir davon aus, dass die Freien Wähler bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Dann sitzen fünf, vielleicht acht Abgeordnete im Europaparlament. Sie sprechen aber von grundlegenden Veränderungen.

    Aiwanger: Nein. Man sieht, dass allein durch unser Antreten frischer Wind in die Diskussion gekommen ist. Auch da nenne ich die grüne Gentechnik. CSU-Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner hätte den Genmais MON 810 nicht verboten, wenn die Freien Wähler nicht kandidieren würden. Die CSU ist plötzlich für Volksabstimmungen über die EU-Verfassung, weil sie Angst hat vor Stimmenverlusten an uns. Egal, wie stark unsere Fraktion wäre, selbst, wenn wir knapp scheitern würden, ist etwas gewonnen. Wir haben unsere Themen in die Diskussion gebracht. Man muss nicht unbedingt auf dem Herrscherstuhl sitzen, um Einfluss zu haben. Der öffentliche Druck und die Angst vor Stimmenverlusten wirken Wunder.

    Was ist ein gutes Europa im Sinne der Freien Wähler?

    Aiwanger: Weniger Lobbyismus, denn das ist ein Grundübel der jetzigen Europapolitik. Wir brauchen mehr regionale Kompetenzen, wo es um das tägliche Leben zuhause geht. Brüssel braucht keine Vorschriften zu machen, wie eine Dorfmetzgerei auszusehen und zu arbeiten hat. Warum kann man Milch nicht so kennzeichnen, dass ich weiß, dass sie aus meiner Region stammt? Andererseits muss Brüssel bei anderen Dingen genauer hinsehen, zum Beispiel bei grenzüberschreitender Kriminalität, Menschenhandel et cetera. Beispiel Atompolitik: Atomkraftwerke – ich sage nur Temelin – unterstehen der nationalen Kontrolle. Das ist doch absurd. Die Dorfmetzgerei untersteht Brüssel, das Atomkraftwerk nicht. Bei der Finanzmarktkontrolle, für die jüngst Pläne vorgelegt wurden, macht eine europaweite Regelung Sinn. Dazu gehört auch, dass man innerhalb der EU nicht Staaten und Arbeitsplätze gegeneinander ausspielen kann. Beispiel Tanktourismus: Es muss möglich sein, Besteuerung so zu harmonisieren, dass es sich nicht mehr lohnt, von Bayern nach Österreich zum Tanken zu fahren. Das wäre ja so, als hätte jeder Landkreis seine eigene Steuerpolitik und seinen eigenen Benzinpreis.

    Ihre Spitzenkandidatin Gabriele Pauli gibt sich wie die Jeanne d'Arc des Bürgerprotests. Fürchten Sie nicht, ausgelacht zu werden?

    Aiwanger: Nein. Das sehe ich wie in Bayern. Da sind wir anfangs auch belächelt worden. Mittlerweile nimmt man uns ernst. Und wir haben frischen Wind hineingebracht. Bürgernähe muss politisch erzwungen werden, sonst bleiben die Leute entweder zu Hause oder stimmen für Protestparteien. Wir wollen die Bürger für ein positives Europabild gewinnen. Wir sind nicht irgendeine Protestpartei, sondern stehen auf kommunaler Ebene in Verantwortung. Wir können uns Schaumschlägerei gar nicht leisten.

    Sind Sie zufrieden mit Pauli?

    Aiwanger: Ja. Ich glaube, kein anderer hätte uns in der Kürze der Zeit so viel Aufmerksamkeit bringen und unsere Themen so transportieren können. Gerade auch über Bayern hinaus. Unser Wahlkampf ist naturgemäß ein Medienwahlkampf, wir müssen ja praktisch ohne Geld auskommen.

    Es gibt Landesverbände wie die starken Freien Wähler in Baden-Württemberg, die die Europakandidatur ebenso wie eine Bundestagskandidatur für falsch halten . . .

    Aiwanger: Ich nehme die Leute ernst und will die nicht zu irgendetwas zwingen. Die haben bisher auch bei keiner Landtagswahl kandidiert. Aber ich denke, unsere Gruppierung musste sich den Herausforderungen stellen. Ob Landtagswahl oder Brüssel. Wenn wir bei diesen Wahlen zu Hause geblieben wären, hätte das dem Bürger nicht genutzt. Ich glaube, dass man ohne Kandidaturen auf überregionaler Ebene irgendwann abgehängt wird von Entscheidungen. Wir wollen nicht zu Hause rumjammern über Dinge, die woanders geändert werden müssen – da sind wir schon wieder beim Genmais. Tamara Bischof hat in ihrem Landkreis Kitzingen über Jahre die Probleme gehabt, die in München, Berlin und Brüssel ausgebrütet wurden.

    Haben Sie ein Problem damit, wenn die Europawahl in die Hose geht?

    Aiwanger: Nein. Selbst wenn es nicht klappen sollte, haben wir dem Wähler eine Alternative angeboten, unsere Themen gesetzt und die Mitbewerber aufgescheucht. Und wir haben die Freien Wähler bundesweit vorangebracht als vernünftige, bürgernahe Kraft.

    Zur Person

    Hubert Aiwanger Der 38-jährige Agraringenieur und Landwirt aus Rottenburg an der Laaber ist seit 2006 Landesvorsitzender der Freien Wähler in Bayern und seit Oktober 2008 einer von 21 Landtagsabgeordneten. Aiwanger führt die Fraktion, die die drittstärkste im Landtag ist. Er gilt als Verfechter einer stärkeren Vernetzung der Freien-Wähler-Gruppen in Deutschland und befürwortet eine Kandidatur auch bei der Bundestagswahl.

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