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„Wir wollen Wahlfreiheit“

Leitartikel

„Wir wollen Wahlfreiheit“

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    Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hat in dieser Woche den Anbau von Genmais verboten. In München demonstrierten Landwirte und Tierschützer gegen Patentanmeldungen auf Schweine. Matthias Wolfschmidt von der Verbraucherorganisation Foodwatch lehnt Genmanipulationen ab – nicht aber Gendiagnostik.

    Frage: „Schweinepatent“ – darunter kann sich der Normalbürger wenig vorstellen. Aber der Begriff weckt Angst. Wie gefährlich sind Biopatente?

    Matthias Wolfschmidt: Es gibt zahlreiche Patentanmeldungen auf Tiere und Pflanzen. In dem aktuellen Fall geht es jedoch nicht um die gentechnologische Veränderung von Schweinen, sondern um ein Verfahren, mit dem ein bestimmtes Gen im Erbgut von Schweinen gefunden werden kann. Das Europäische Patentamt in München hat nicht nur den Patentanspruch auf dieses Verfahren anerkannt, sondern auch die damit verknüpften Ansprüche auf die mit diesem Verfahren untersuchten Schweine. Hätte niemand fristgerecht dagegen Widerspruch eingelegt, so wäre das Patent jetzt rechtskräftig. Und also ganz normale Schweine gleich mitpatentiert.

    Was hieße das dann für den Verbraucher?

    Wolfschmidt: Biopatente können für enorm weitreichende Verwertungsansprüche ausgenutzt werden. Und je größer ein Unternehmen ist, desto ausgefeilter sind üblicherweise die Patentstrategien. Gefährlich kann das für kleinere Wettbewerber werden, deren Forschungsbemühungen dadurch gezielt blockiert werden. Gefährlich kann es auch für die Allgemeinheit sein, weil einzelne Konzerne in die Lage versetzt werden, 20 Jahre lang quasi-monopolistisch über die wirtschaftliche Verwertung von Allgemeingut zu verfügen. Und als gefährlich kann es der einzelne Bürger empfinden, weil Patente auf Pflanzen oder Tiere zum Beispiel seinen religiösen oder ethischen Vorstellungen widersprechen. Welche Bedenken auch immer die Menschen haben, in einer pluralen Gesellschaft können das ganz unterschiedliche sein.

    Gentechnik in der Landwirtschaft und bei Lebensmitteln – halten Sie das grundsätzlich für schlecht? Oder liegt sie nur in den falschen Händen?

    Wolfschmidt: Wir haben eine sehr verfahrene Diskussion: Man ist entweder für Agrargentechnik – dann gilt man je nach Sichtweise als Fortschrittsfreund oder Industriebüttel. Oder man ist dagegen – dann gilt man als Fortschrittsverhinderer, Ökofundi oder als fehlinformiert. Nüchtern betrachtet sind gentechnisch veränderte Produkte in der Nahrungskette den allermeisten Bürgern nicht geheuer. Gibt es einen konkreten Nutzen? Klare Antwort: für den Verbraucher: Nein. Es gibt aber potenzielle Risiken. Da sind die Verbraucher sehr rational: Bei ungewissen Risiken, seien sie noch so theoretisch, ohne irgendwelche Vorteile und bei einem Nahrungsangebot im Überfluss – wieso sollen wir diese Technologie anwenden? Deshalb ist die Ablehnung – wie auch immer sie ursprünglich motiviert ist – alles andere als irrational.

    Ist das ein klares Nein für Gentechnologie an sich in der Lebensmittelkette?

    Wolfschmidt: Eines zumindest kann man festhalten: Die Industrie, die auf solche Produkte setzt, hat nun wirklich viele Jahre lang Gelegenheit dazu gehabt, der Öffentlichkeit zu erklären, dass die Produkte ganz in Ordnung seien und dass davon keine Gefahr ausgehe. Aber offensichtlich haben Unternehmen wie Monsanto, Bayer oder BASF das trotz ihrer PR- und Lobbymacht nicht geschafft. Ebenso wenig haben sie Produkte auf den Markt gebracht, die die Konsumenten akzeptieren und kaufen würden. Es gibt ganz einfach keinen Bedarf und keine überzeugenden Produkte. Leider wird in der Debatte um gentechnische Anwendungen in der Lebensmittelkette so getan, als gäbe es nur die eine Möglichkeit: ins Genom einzugreifen und dadurch bestimmte Eigenschaften zu verändern.

    Worüber sollte stattdessen diskutiert werden?

    Wolfschmidt: Nehmen wir die Diskussion um das Verbot von Monsantos Gentech-Mais MON 810. Da wird jetzt von Forschern und Lobbyisten so getan, als stünde die Zukunft der Pflanzenzucht auf dem Spiel. Obwohl man längst molekulargenetische Methoden als sinnvolle diagnostische Hilfsmittel in der Pflanzenzucht einsetzen kann, ohne in das Genom der Pflanzen einzugreifen. Es ist deshalb absolut unredlich, diese Forschung zu verkürzen auf das, was Monsanto, Bayer und BASF heute anzubieten haben: nämlich auf gentechnisch veränderte Saatgut-Genome. Es wird so getan, als gäbe es nur die Alternative: gar keine Gentechnik – oder das Geschäftsmodell Monsanto. Das ist eine Täuschung und Irreführung der Öffentlichkeit, die auch die Bundesforschungsministerin betreibt, wenn sie jetzt von der „Verteufelung“ der Gentechnik spricht.

    Was wäre redlich?

    Wolfschmidt: Aus unserer Sicht müsste oberstes Ziel der staatlichen Forschungsförderung für eine intelligente, zukunftsfeste Pflanzenzüchtung sein, die Vielfalt von Züchtungsmethoden zu fördern. Und, sofern es um molekulargenetische Methoden geht, die Erforschung diagnostischer Hilfsmittel zu fördern und deren freie Verfügbarkeit für alle Züchter sicherzustellen. Um Monopole zu verhindern und kleinen und mittleren Saatzuchtunternehmen Chancen und Nischen zu eröffnen. Dann passiert nicht, wie es jetzt bei dem Patent auf Schweine droht, dass ein Verfahren von weltweit agierenden Großkonzernen missbraucht wird, um Zugriff auf Tiere mit bestimmten Genvarianten zu bekommen.

    Also ein Plädoyer gegen Genmanipulation, aber für Gendiagnostik?

    Wolfschmidt: Für schlaue Züchtungsmethoden mit Hilfe von Gendiagnostik kann man Akzeptanz in der Bevölkerung gewinnen. Genetische Analytik und Diagnostik sind ein vielversprechender Weg, um im Labor herauszufinden, wie eine Pflanzenvarietät genetisch aufgebaut, für welchen Standort sie besonders geeignet ist und welche Kreuzungsversuche Erfolg versprechen, um die Ernteerträge zu verbessern. Von solchen Forschungsstrategien können zudem die kleinen und mittleren Saatgutunternehmen, die wir in Deutschland noch haben, profitieren.

    Ein Blick in den Supermarkt. Das Logo „Ohne Gentechnik“ findet man nur auf den wenigsten Milchpackungen. Heißt der Umkehrschluss, die meisten Kühe fressen gentechnisch verändertes Futter?

    Wolfschmidt: Nicht unbedingt. Die „ohne-Gentechnik“-Kennzeichnung ist freiwillig. Weil die Milchbauern Soja leicht etwa durch Raps ersetzen können, könnten die Molkereien mehr Produkte „ohne Gentechnik“ kennzeichnen. Offenbar überwiegt derzeit noch die Angst vor Fehlern. Vielleicht findet in der derzeitigen Milchkrise ein Umdenken statt. Foodwatch fordert zudem eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht nicht nur für pflanzliche Produkte, sondern auch für Milch, Eier und Fleisch. Denn ein Großteil aller gentechnisch veränderten Pflanzen – also Mais und Soja – landet in den Futtertrögen. Auf dem Futtersack muss übrigens draufstehen, ob genmanipulierte Pflanzen im Spiel sind. Diese Information müssen Landwirte und Molkereien aber nicht weitergeben. Für uns geht nicht um die Frage, ob die Milch durch Gentech-Soja schlechter wird oder nicht. Sondern um die Freiheit und das Bürgerrecht, bewusst entscheiden zu dürfen, ob wir diese Milch trinken wollen oder nicht.

    Trotzdem gefragt: Wird die Milch nun schlechter oder nicht, wenn die Kuh Genmais gefressen hat?

    Wolfschmidt: Da streiten sich die Gelehrten. Wir wissen, dass die Fütterung Einfluss auf die Milchqualität und die Milchzusammensetzung hat. Welchen Einfluss nun die Erbgutfragmente aus gentechnisch verändertem Mais haben und ob sie womöglich übergehen können in die Milch – das ist nicht abschließend geklärt. Entscheidend ist Wahlfreiheit, also dass bei einer genauen Kennzeichnung der Produkte jeder Einzelne eine bewusste Kaufentscheidung treffen kann – und damit vielleicht auch die Entscheidung darüber, wie die Landwirtschaft in Europa in zehn oder 20 Jahren aussieht.

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