"Sehr geehrter Herr Sahlender,
ich lese immer gern Ihre fundierten Beiträge als Leseranwalt und freue bzw. ärgere mich auch schon mal (nicht über Sie), je nach Anlaß.
Vor Jahren hatte ich Sie wegen einiger (in verschiedenen Bereichen des Schweinfurter Tagblattes/SWT) immer mal wieder vorkommender Grammatikfehler (Dativ statt Genitiv oder Akkusativ) und scheinbar nicht auszurottender Begriffsverwechslungen (Reverenz – Referenz, das (Fest-)Bankett – die (Straßen-)Bankette (Sing.), das Kotelett – die Kotelette etc.) angeschrieben, habe mir das aber inzwischen, resigniert habend, „fast“ abgewöhnt, zumindest den öffentlichen Leserbrief.
Wenn es mich aber beim Lesen des SWT doch mal wieder vehement „aus dem Sitz reißt“, weil gleich mehrere gegensätzliche Fehler direkt in zwei aufeinander folgendeb Sätzen vorkommen (z. B. Akkusativ statt Dativ und darauf gleich umgekehrt bzw. der „übermäßige“ Dativ: „dem bravem Hund“ – Mein Kommentar
da
zu: Man kann sich an alles gewöhnen, nur nicht am Dativ! J), dann schreibe ich, inzwischen selten zwar, den Redakteur/die Redakteurin direkt per eMail an, vergesse meist nicht, seinen/ihren Artikel inhaltlich zu loben (wenn ich so empfinde) und bemerke dann eher beiläufig („ach, übrigens, wo ich Sie schon mal anschreibe…“) den eigentlichen Grund meines Kontaktes zu ihm/ihr. In diesen Fällen habe ich fast jedesmal eine positive Rückmeldung bekommen. Selbst einmal, als mir der Redakteur widersprach (er bestand auf „thüringer Klöße“ statt Thüringer Klöße (substantiviertes Adjektiv) oder thüringische … (Adjektiv), was aber (letzteres) in diesem Fall üblicherweise
so
nicht gesprochen wird; ähnliche Beispiele: Schweizer oder schweizerischer Käse, Holländer oder holländische Grenze, aber
nicht
: schweizer bzw. holländer Käse/Grenze mit dem Hinweis, es hieße ja auch „deutsche Grenze“, was natürlich stark hinkt, weil „deutsch“ eben das Adjektiv ist und das substantivierte Adjektiv „Deutschländer“ heißen würde, was es aber nicht offiziell gibt – ebenso wenig wie „Frankreicher Wein“ - sondern nur in einer Werbung: „Deutschländer Wurst“), weil er meinte, man habe über genau diese Schreibweise in einer Redaktionskonferenz diskutiert und sich für „thüringer Klöße“ entschieden – ich glaubte damals ein unausgesprochenes „Basta“ nachklingen zu hören.
Zu meiner Überraschung lese ich in seinen Beiträgen in solchen Fällen seitdem genau diesen und auch vergleichbare Ausdrücke in der korrekten Schreibweise. Der Redakteur muß das Thema doch noch mal im Kollegenkreis angestoßen haben und - voila! Seitdem ist mir der ohnehin sehr sympathische, weil kritische und – in seinen Spezialkolumnen, wovon ich eine auch ohne seine Namensnennung sofort an seiner „Schreibe“ erkenne - humorvolle Redakteur noch um einiges sympathischer geworden!
Wenn man als Mensch so veranlagt ist wie ich, fühle ich mich als Leser Ihrer Zeitung immer dann genervt, wenn der Lesefluß jäh durch eine
erneute
sprachliche „Ungeheuerlichkeit“ (ich weiß, ich übertreibe – -- gern!) unterbrochen wird und mich vom Inhalt ablenkt, mag er auch noch so interessant und gut recherchiert sein. Vor allem, wenn ich dann denke: sollst du jetzt wirklich deine Zeit opfern, dich hinsetzen und „dem Kerl“ seine Sprachschludrigkeit „um die Ohren hauen“? Oder blätterst du einfach weiter? Wenn ich aber zur Feder bzw. zum Tastenbrett greife, soll ich ihm dann auch gleich mitteilen, daß „böse Zungen“ (zu denen ich mich manchmal auch zähle!) schon immer behauptet haben, daß, wer als junger Mensch zur Zeitung will, nur nachzuweisen braucht, daß er mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß steht --- und schon hat er den Job!?? Natürlich wäre das hundsgemein, aber in so eine Stimmung bin ich schon öfter gekommen. Meist schimpfe ich vor mich hin oder rufe meiner Frau zu: „Du, das
mußt
Du Dir anhören! …“. Danach geht’s mir dann schon bedeutend besser und ich spare mir die Zeit, diesen Drang auszuleben und beim SWT mal „so richtig Dampf abzulassen!“ J Ich erkenne an den Leserbriefen, die ich gern oder manchmal ungern lese, daß es Vielen ähnlich geht wie mir, und das tröstet mich dann wieder.
So, das sollte eigentlich nur die „kurze“ Ein- oder Überleitung sein zum eigentlichen Leseranwalt-Thema vom 10.11.2014 sein:
„Überschriften, wie sie nicht einmal alle Allerheiligen vorkommen dürften“
. Diesen Lapsus – „gedenken“ oder „Herr werden“ mit Dativ statt mit Genitiv zu verbinden - beobachte ich in letzter Zeit öfter: seltener in redaktionellen Artikeln, häufiger in Leserbriefen, ganz häufig beim Sprechen, auch in Rundfunksendungen, die lediglich der Unterhaltung dienen. Als es neulich im Bekanntenkreis auch einem ehemaligen Hauptschullehrer (anscheinend) entwischte und ich ihn scherzhaft mit lehrerhaft erhobenem Zeigefinger ermahnte: „Gedenken
des
Toten und nicht
dem
Toten - setzen sechs!!“, winkte er nur ab und meinte: „Ich sprech’ fränggisch, unn da kann ich net so hochgestoch’'n daher kumm, da lache ja die Leut!“ – „Hast Du auch in der Schule
so
zu Deinen Schülern gesprochen??! - „Freilich, denne hab’ ich das
genau so gelernt
, mir war’n ja schließlich auf’m Land und da hammer das Fränggische immer hochgehaldn, un das tu ich heut ersch recht!“ - „Du hättest vielleicht von Deinen Schülern noch was
lernen
können, aber Du hast
sie
doch normalerweise
gelehrt
und nicht
denen was gelernt
, Du warst schließlich Lehrer und nicht Lerner und außerdem verbaust Du denen doch jede Chance, sich später mal in anderen Bundesländern, Stichwort „Mobilität“, auf interessante Arbeitsangebote zu bewerben, denn wenn sie nicht richtig hochdeutsch sprechen, kriegen sie doch keinen korrekten Bewerbungsbrief hin oder sie schreiben einen irgendwo ab und fallen dann beim Bewerbungsgespräch unangenehm auf, wenn sie so sprechen wie Du jetzt gerade. Ich selbst habe schon mehrere Mundartabende hier in der Gegend (Gochsheim und Sommerhausen) besucht und besitze, wie Du weißt, mehrere Bücher über fränkische Mundart, und wir haben uns gegenseitig daraus vorgelesen; ich mag also diesen Dialekt und etliche andere auch, aber beruflich macht man sich doch eher lächerlich bzw. kriegt die erhoffte Stelle nicht, wenn man nicht
auch
hochdeutsch spricht. Damit meine ich nicht den typisch fränkischen Tonfall und die weichen Konsonanten, das geht in Ordnung, sondern den richtig kernigen Dialekt! Denk mal an
My fair Lady
, wo Professor Higgins sinngemäß sagte: Ihr DOOF und AUU kennzeichnen sie sozial, und nicht ihr Hals, der dreckiger als ihr Schal! Auf Franken bezogen hätte er wohl sagen können: Ihr MIN MO und KUMM HOCK DI HIE oder WOS HOSTN EICHENTLI EIGEKÄFFT ect. Darauf meinte er dann stolz: „Die solln halt in Franggn blei’m unn net woannsrsch hie!“ – Natürlich wollte er mich auch
äweng
provozieren, schon klar, aber im Prinzip hat er das schon ernst gemeint. Die restliche Runde, alles Franken, waren allerdings anderer Meinung: Fränkische Mundart pflegen – unbedingt, aber nur dort, wo es hinpaßt! Dem kann man sich nur anschließen. Aber wenn ich mir die SWT-Zeitungsbeilage mit dem
Shopping
-Angebot (das ist jetzt aber kein Fränkisch!) so anschaue, da wimmelt es von Lätzchen, Mützen und Artikeln aller Art mit einschlägigen, „unglaublich witzigen“ Aufschriften GOTT SEI DANK, ICH BIN A FRANK ect. Ist das das neue Selbstbewußtsein, das die frühere Scham verdrängen soll, die ureigenste Art zu sprechen in Gegenwart eines „Preußen“ zu verbiegen und die wirklich weichen Konsonanten dann übertrieben hart auszusprechen (was sich übrigens recht witzig anhörte: „ta pin ich auf einem Fest gewesen, ta ging es sehr feutal zu…! - Wohnen Sie immer noch in Tittelprunn?)?? Ich fand das schon immer zum Schmunzeln, ließ mir aber natürlich nichts anmerken. Verschiedene fränkische Kabarettisten haben das übrigens schon öfter ihren Landsleuten unter die Nase gerieben und sie aufgefordert, doch etwas selbstbewußter aufzutreten und sich nicht zu verbiegen, bloß weil da „so ein Nordlicht daher kommt!“ Recht haben sie! Aber das neue, wie eine Fahne vor sich her getragene, durch Werbung künstlich verstärkte Schein-Selbstbewußtsein durch Hervorhebung aller möglichen Merkmale, sich als Franke zu präsentieren ist, mit Verlaub, so was von lächerlich, wie mir das vor Jahren bei einer mehrwöchigen Studienreise in Schottland mit deren übertriebenem Umgang mit ihrer Geschichte ähnlich erging, obwohl ich einräumen mußte, daß die Zeit nach dem Scheitern des aufgewiegelten, im Pariser Exil verweichlichten und m . E. noch heute zu Unrecht verehrten
Bonny Prince Charles
, der dann in Frauenkleidern floh, für die schottische Bevölkerung furchtbar gewesen sein mußte, was sich erst mit der der Queen Victoria entscheidend verbesserte. Man kann das wohl auch nicht vergleichen, aber der neue hochgepuschte Frankenstolz erinnert mich ein wenig an das Auftreten eines Teils der heutigen Schotten.
Ach ja: Allerheiligen! Ich bin im letzten Absatz wohl „ein wenig abgeschwiffen“ (eine Leidenschaft bzw. ein Laster von mir L) Neben dem grammatikalischen Aspekt der Überschrift gibt es noch einen
inhaltlichen
, nun ja, Fehler: „Am 1. November gedenken Katholiken der Verstorbenen“ hätte es zwar grammatisch richtig heißen sollen, aber – ich entstamme einer Mischehe und erinnere mich noch gut -
- gedenken gerade die Katholiken der Verstorbenen nicht an Allerheiligen, sondern an Allerseelen, am 2. November!! Weil es ja um die Seelen der Verstorbenen geht, und
- auch die Protestanten tun das erst am Totensonntag (mit den Heiligen haben gerade die Protestanten ohnehin „nix am Hut“!) - in Schweinfurt dagegen scheint es aber eine mir seit 1967 (mein beruflich bedingter Umzug von Fulda nach SW) bekannte Tradition zu sein, die Gräber in Scharen an Allerheiligen (obwohl dort kaum ein Heiliger zu finden sein dürfte) aufzusuchen; wann das hier anfing, können die Alteingesessenen sicher eruieren.
Sicherheitshalber habe ich bei
Wikipedia
nachgeschaut (das mag nicht immer ein Evangelium sein, was dort zu finden ist, erweist sich aber oft genug als brauchbar) und fand dort Folgendes:
An
Allerseelen
(
in commemoratione omnium fidelium defunctorum
) begeht die
das Gedächtnis ihrer Verstorbenen.
Das Gedächtnis aller Seelen
wird im
am
begangen, einen Tag nach dem
. Durch
,
,
und
Friedhofsgänge
gedenken die Menschen aller
im
und wenden ihnen
zu. In der römisch-katholischen Kirche hat der
daher eine besondere Bedeutung.
Wo die
nicht bereits
am Nachmittag von Allerheiligen
stattgefunden hat (
wurde später teilweise in Deutschland eingeführt
-
daher wohl die Verwechslung!!
), findet sie an
Allerseelen
statt,
wohin sie eigentlich gehört
. Da Allerseelen in der
den
des Herrn gleichgestellt ist, verdrängt das Gedächtnis aller Seelen in Jahren, in denen er auf einen Sonntag fällt, den Sonntag im Jahreskreis.
Der
Totensonntag
oder
Ewigkeitssonntag
ist in den
in Deutschland und der Schweiz ein
Gedenktag für die Verstorbenen
. Er ist der letzte Sonntag vor dem ersten
und damit der letzte Sonntag des
. Er kann – aufgrund der fixen Lage des vierten Adventssonntages vor dem 25. Dezember –
nur auf Termine vom 20. bis zum 26. November fallen
.
In zwei verschiedenen Ausgaben unseres SWT stand es beim erstenmal richtig drin (Katholiken besuchen die Gräber an Allerseelen), und kurz darauf – vermutlich von einer anderen Sektion der Mainpost/SWT, die von der ersten Notiz nichts wußte – erschien die o. g. unrichtige Version. Man liest in Ihrer Zeitung immer mal Tage nach einer bemerkten Falschmeldung eine Richtigstellung. Nachdem „im ersten Anlauf“ die grammatikalische Unregelmäßigkeit der Überschrift von Ihnen aufs Korn genommen wurde, wäre im zweiten Anlauf nun wohl
das inhaltliche Geraderücken
an der Reihe, schon allein deshalb, damit sich bei einschlägigen Diskussionen unter aufmerksamen Lesern nicht einige auf die Falschmeldung berufen und mit „Zähnen und Klauen“ verteidigen!
Ich hoffe, ich habe mit meinen gedanklichen Ausschmückungen (wenn's denn solche waren) Ihre kostbare Zeit nicht über Gebühr in Anspruch genommen, aber wenn ich erstmal in Fahrt bin …………. J
Mit heute mal besonders freundlichen Grüßen
XXXXXXXXXXXX
Ich habe darauf kurz geantwortet:
"Sehr geehrter Herr XXXXX,
ich habe Freude daran gehabt, ihren langen, aber kurzweiligen Text zu lesen. Nun werde ich ihn als lesenswerte Zuschrift eines Lesers bei meinen Leseranwalt-Kolumnen im Internet veröffentlichen. Falls Sie es wünschen, kann ich auch ihren Namen hinzufügen. Das muss aber nicht sein, denn so mancher Leser wird, geradeso wie ich, seine Freude daran haben. Dazu bedarf es keines Namens. Vielleicht wird sich sogar der betroffene Kollege in SW outen.
Nun komme ich noch zur Sache. Ja, tatsächlich gab es einige wenige Leser, die klargestellt haben, dass der Toten erst an Allerseelen gedacht wird. Das waren vor allem Katholiken. Ich habe sinngemäß wie folgt geantwortet: Was Sie schreiben ist für die christlichen Kirchen unbestritten. Ich meine freilich, die meisten Menschen gedenken sehr wohl bereits an Allerheiligen vor allem auch ihrer verstorbenen Angehörigen und Freunde. Auf unseren Friedhöfen wird das deutlich. Das ist dort sichtbare Realität, selbst wenn die Widmung des Tages, wie Sie es feststellen, in der katholischen Kirche den Heiligen gehört. Unsere Beiträge in der Wochenendbeilage beschäftigten sich eben mit dem Totengedenken der Menschen. Deshalb die Überschrift. Ich denke, das wird Allerheiligen und Allerseelen gerecht. Und so können es gewiss auch tiefgläubige Katholiken akzeptieren.
Ich überlege mir, ob ich dazu noch eine Kolumne schreibe....
Wie dem auch sei: Konstruktive und lesenswerte Zuschriften wie die Ihre, die können garnicht lange genug sein. Herzlichen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
Anton Sahlender