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Würzburg: Leseranwältin: Vorwurf der Zensur - unterdrückt die Redaktion unbequeme Lesermeinungen?

Würzburg

Leseranwältin: Vorwurf der Zensur - unterdrückt die Redaktion unbequeme Lesermeinungen?

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    Redakteur Jochen Jörg beim Erstellen der Leserseite, die in jeder Samstagsausgabe erscheint und auf der viele Leserzuschriften veröffentlicht werden.
    Redakteur Jochen Jörg beim Erstellen der Leserseite, die in jeder Samstagsausgabe erscheint und auf der viele Leserzuschriften veröffentlicht werden. Foto: Thomas Obermeier

    "Es sind die EU und die NATO, nicht Russland, die diese paneuropäische Bedrohungslage konstruieren und mittlerweile provozieren, eine nach außen immer aggressivere EU und eine expansive NATO, die dreizehnmal mehr für Rüstung ausgibt als Russland." Diese Zeilen enthielt ein Leserbrief zum Ukraine-Krieg, der die Redaktion erreichte. Die Zuschrift wurde auch veröffentlicht - aber ohne diesen Satz. Die Redaktion hatte ihn gestrichen. Warum? Das fragt sich die Einsenderin, die von mir als Leseranwältin eine Erklärung erbat.

    Einen Verdacht hatte die Schreiberin schon: Der gestrichene Satz habe eine Meinung enthalten, die der Redaktion nicht genehm war. Die Verfasserin ist mit ihrem Verdacht nicht allein. Regelmäßig werfen uns Leserinnen oder Leser vor, wir würden Meinungen unterdrücken oder zensieren, wenn unbequeme, provokante Zuschriften nicht veröffentlicht werden.

    Die Unterscheidung zwischen Meinung und Tatsache ist bedeutsam

    Ich gebe zu, dass mich solche Vorwürfe treffen. Unser Berufsstand weiß das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit hinter sich. Für Journalistinnen und Journalisten stützt sich eine ganze Reihe von Sonderrechten darauf. Sollten wir also nicht in besonderem Maß auch die Meinungsfreiheit anderer achten? Ja, das sollten wir. Trotzdem kommt es vor, dass Leserbriefe mit legitimen Meinungen nicht erscheinen. Warum passiert das?

    Weil eine Meinungsäußerung von einer Tatsachenbehauptung nicht immer leicht zu unterscheiden ist. Diese Unterscheidung ist aber wichtig, weil die Redaktion presserechtlich für von ihr veröffentlichte Leserbriefe in gewissem Umfang verantwortlich ist. Wird darin zu Straftaten aufgerufen, wird jemand beleidigt oder durch Falschbehauptungen beeinträchtigt, können Medien zur Verantwortung gezogen werden. Deshalb werden Leserbriefe genau geprüft. Die Kolleginnen und Kollegen, die das machen, tragen viel Verantwortung.

    Wie aber identifiziert man falsche oder unzulässige Tatsachenbehauptungen und legitime Meinungsäußerungen?

    Leserinnen und Leser können Meinungen selbst einordnen

    Im eingangs erwähnten Satz aus dem Leserbrief ist die Passage über die Rüstungsausgaben eine Tatsachenbehauptung. Den Wahrheitsgehalt solcher Behauptungen nachprüfen kann die Redaktion wegen des erheblichen zeitlichen Aufwands nur in einem gewissen Umfang. Wenn sich verschiedene Quellen widersprechen oder vertrauenswürdige Quellen gar nicht erst aufzufinden sind, druckt die Redaktion solche Aussagen nicht ab. Es ist daher zu empfehlen, einer Zuschrift Quellen beizufügen.

    Was aber ist mit dem ersten Satzteil? Konstruieren, ja provozieren NATO und EU und nicht etwa Russland eine paneuropäische Bedrohungslage? Das Handeln der politischen Akteure lässt ich so, aber auch ganz anders deuten. Doch eigene Deutungen sind kein Beweis für eine These. Die hier infrage stehende Äußerung ist deshalb nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinung einzuordnen. Eine zulässige obendrein, weil frei von Beleidigungen oder Hetze. Im Nachhinein betrachtet hätten wir diesen Satzteil abdrucken können.

    Beiträge zur Meinungsbildung, zur Vielfalt, zum Diskurs sind hilfreich

    Wir wollen ein breites Spektrum an Meinungen in unseren Leserbriefen zulassen. Die richtige Einordnung von Meinung und Tatsache aber ist, das betone ich nochmals, schwierig. Zu guten Ergebnissen kommen wir am besten, wenn wir uns im Kollegenkreis über schwierige Zuschriften austauschen. Das wollen wir in Zukunft noch öfter und intensiver tun als bisher. Denn einen hilfreichen Beitrag zur Meinungsbildung, zur Vielfalt und zum Diskurs, leisten nicht nur Wortmeldungen, denen ein Redakteur oder eine Redakteurin inhaltlich beipflichten kann.

    Welcher Meinung sie zustimmen, dürfen und wollen wir unseren Leserinnen und Lesern selbst überlassen.

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