Leser H.B. hat ein Problem - und vielleicht nicht nur er. "Ein Labyrinth des Grauens", so schreibt er mir, sei in der Ukraine sichtbar und "dem 'Teufel' Putin sind keine Grenzen gesetzt". Flüchtlinge von dort und aus Ländern wie Afghanistan, Iran, Syrien oder die Menschen in Israel und Gaza waren und sind wohl vom "Grauen" hinreichend betroffen. Auch deshalb stört sich H.B. an einer Überschrift: "Hereinspaziert ins Labyrinth des Grauens".
Meldung über ein Gruselhaus im Dorf
Dieser Titel begegnete ihm in der Ausgabe von 31. Oktober in seinem Lokalteil. Es war, man kann es sich denken, eine Meldung zu Halloween. Geschildert ist eine Familie, die traditionell am Abend vor Allerheiligen als Halloween-Spaß ein Gruselhaus in ihrem Dorf gestaltet. Familie und Freunde helfen. Ein Ereignis für den ganzen Ort. Selbst wagemutige Kleinkinder, so heißt es, dürfen dieses "Reich der Toten", das dabei entsteht, in Elternbegleitung betreten.
Aktuell steht "Grauen" für schlimmste Nachrichten
Eine nette Geschichte ist gleich als solche zu erkennen. Sie liest sich gut. Und mit Blick darauf hätte man auch zutreffend titeln können "Hereinspaziert ins Spuk-Spektakel". Leider hat die Redaktion den Begriff "Grauen" bevorzugt - und damit einen Begriff, der umgangssprachlich schon mal bis in den Alltag reichen kann. Aktuell umfasst er in den Medien allerdings die schlimmsten Nachrichten von Terrorismus, Krieg und Katastrophen. Herr H.B. hat selbst auf einige hingewiesen.
Kritik und Wunsch: Christliche Anlässe in der Zeitung ausreichend würdigen
Der kritische Leser hätte lieber Würdigungen von Allerheiligen und Allerseelen als Gedenken an Heilige und Verstorbene in der Zeitung gesehen statt der Erzählung aus dem Totenreich von Horror-Kürbissen. Ein Wunsch, der sinngemäß immer in der Redaktion eintrifft, wenn Leser christliche Anlässe unzureichend gewürdigt sehen. So tröstet auch H.B. die mitgelieferte Erklärung nicht, dass "All Hallows‘ Eve" zu Halloween wurde und so den Abend vor Allerheiligen meint. Doch das soll hier ebenso wenig Thema sein wie die Darlegungen, die einen Ursprung von Halloween in unserem Kirchenfest liegen sehen. Angeblich hätten sich einst irische Katholiken in dieser Nacht verkleidet, um sich vor den Seelen Verstorbener zu verstecken.
Kein Halloween-Artikel wird Allerheiligen verdrängen
Nein, des weit verbreiteten spaßigen Grusels an der Kürbis-Maskerade, die als Halloween über die USA zu uns kam, kann wohl auch hierzulande niemand mehr beraubt werden. Er wird uns bleiben. Und das Gedenken zu Allerheiligen, das vermag gewiss kein Halloween-Artikel zu verdrängen. Deshalb stört mich aktuell vorwiegend die Wortwahl im zitierten Titel. Denn ratsam für Redaktionen erscheint es derzeit, das "Grauen", wann immer möglich, zu meiden. Vor allem, wenn es bestenfalls um leichten Grusel geht.
Respekt vor dem Schicksal derer, die hierher flüchten mussten
Der Eindruck, Unvergleichbares werde gleichgesetzt, nur um Aufmerksamkeit zu generieren, der ist im Journalismus immer fatal. So sollte auch zu Halloween real existierendes Grauen nie verharmlost werden. Schon das Schicksal derer, die davor aus Krieg, Terror oder Unrechtsregimen hierher flüchten mussten, gebietet größte Sensibilität. Selbst wenn diese Menschen unsere Sprache erst lernen: Verlässlicher Umgang mit Worten, der liegt zunächst an uns. Denn die Nachrichtensprache verbreitet schon genug Angst und Schrecken. Wir müssen das nicht verstärken.
Übermedien: "Eigentlich schon genug Horror gerade"
Kein Wort und keine Überschrift sollen in ihrer Wirkung überbewertet werden. Es gilt aber, sich Gedanken bei der Wortwahl zu machen. Sie gehören zu journalistischer Verantwortung. Die ist naturgemäß Anliegen von Boris Rosenkranz beim branchenkritischen Dienst "Übermedien". Mit den Worten "eigentlich schon genug Horror gerade", zeigt er unter dem Titel "Total gruselig" mit Videos, was zu Halloween auch bei ARD und ZDF los war.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu Halloween und Sprache:
2008: "Der beliebte Kalender und die verschwundenen Heiligen"
2015: "Wahrhaftige Darstellung von Wirklichkeit kann zur sprachlichen Grausamkeit werden"
2022: "Als sich in der Zeitung der Mond zu spät vor die Sonne schob"