Sollten Journalisten Empathie zeigen? Zu einer Antwort veranlasst mich der Bericht: „Staatsanwalt stellt Untersuchung gegen Würzburger Stadtrat und Gastronom La Rosa ein".
Damit hatte ich mich schon im Mai befasst. Genau dieser Mann wurde nun vom Vorwurf möglicher Steuerhinterziehung entlastet. Übrig geblieben ist davon ein Bußgeld für nicht ordnungsgemäße Vorgänge an seiner Kasse.
Entlastung nimmt die Redaktion in dieser Sache zurecht auch für sich in Anspruch, und zwar durch den Deutschen Presserat. Der hat Beschwerden gegen ihre identifizierenden Berichte als unbegründet abgewiesen: Er sieht in ihrer Verdachtsberichterstattung keinen Verstoß gegen den Pressekodex, auf den er sich bei seinen Entscheidungen stützt. Es liegt also auch keine Verletzung der Unschuldsvermutung vor.
Aber die Notwendigkeit solcher Berichte für die Main-Post hat auch Chefredakteur Ivo Knahn schon herausgestellt. Doch ist das was hier Recht ist, auch richtig gewesen?
Der Presserat unterstreicht jedenfalls mit seiner Entscheidung gegen die Beschwerde den Kontroll-Auftrag der Presse, die zuweilen auch als Wachhund der Demokratie bezeichnet wird.
Die Redaktion hat sorgfältig recherchiert, bestätigt der Presserat
Dahinter steht eine Reihe wichtiger Erfolge für den Rechtsstaat. Ausgelöst wurden sie stets von geschützten Informanten, die sich nicht vor Repressalien gegen ihre Person fürchten mussten. Ihre Identität wurde von Redaktionen, die sich dafür ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen können, nicht preisgegeben.
Aber deren Hinweise führten stets zu investigativen Recherchen und Berichten. So brachten bisher Medien fast alle bedeutsamen Unregelmäßigkeiten und Straftaten aus Wirtschaft und Politik ans Licht. Das war wohl auch hier Zielrichtung.
Beharrlich und sorgfältig recherchiert wurde auch im vorliegenden Fall. Das bestätigt der Presserat. Doch für die Staatsanwaltschaft hat sich der dabei ausgelöste Anfangsverdacht gegen den Stadtrat nicht bestätigt.
Würzburger Stadtrat beklagt die Belastung seiner Familie
Von dem Verfahren übrig geblieben sind nun die veröffentlichten Schlagzeilen, die Artikel und die Portrait-Bilder, aufrufbar im Internet. Die Entlastung muss dort der Beitrag "Staatsanwaltschaft stellt Untersuchung <...> ein" anzeigen, der das Verfahren nochmals zusammenfasst.
Der Stadtrat wirft der Redaktion nun eine Diffamierungskampagne vor. Er beklagt aber auch, ihm und seiner Familie habe die Situation stark zugesetzt.
Die Redaktion berichtet das nachrichtlich nüchtern, ohne Empathie. Sie widerspricht alleine den gegen sie gerichteten Vorwurf der Diffamierung, geht aber nicht auf die Belastung der Familie ein. So darf man fragen, wurde journalistisch gleichsam mit Kanonen auf Spatzen geschossen? Die Einstellung des Verfahrens rechtfertigt diese Frage.
Verständnisvolle Worte gab es in der Berichterstattung nicht
Klar ist indes: Mehrere identifizierende Schlagzeilen trafen auch die Familie. Ein schmerzlicher Preis, den die Presse bei der Erfüllung der Kontrollaufgabe verlangt. Die Redaktion erwartet freilich die Anerkennung der Rechtmäßigkeit ihrer wiederholten Darstellungen. Weil dem rechtlich gesehen so ist, muss sie dafür niemand um Entschuldigung bitten, wie es einige Leserinnen und Leser gefordert haben.
Dennoch: Nach dem Ergebnis der von ihr ausgelösten Untersuchung, die anklagende Meinungen von zitierten Experten nicht bestätigt, durfte man sich wenigstens verständnisvolle Worte zu den belastenden Nebenwirkungen der Berichterstattung erhoffen. Doch Erklärungen in eigener Sache dominieren.
Leseranwalt empfiehlt der Redaktion Selbstreflexion
Selbstreflexion sei deshalb empfohlen, hier vor allem den Journalistinnen und Journalisten, weil es da zuweilen not tut. Schonendes Berichten wäre ihnen bei ihrem Auftrag nämlich durchaus möglich gewesen: Es hätte bis hin zu erklärender, abwartender Form, erst ohne Namen und Bild, einen Spielraum gegeben. Es wurde jedoch sofort Ross und Reiter genannt.
Da wäre den Journalisten doch jetzt genug menschliche Stärke zuzutrauen gewesen, etwas Empathie zu zeigen, kein Kodex verbietet sie. Denn es geht zuallererst um Menschen, denen sich gemäß ihrer Leitlinien ja auch diese Redaktion verpflichtet sehen muss.
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
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