Covid-19 lässt uns nicht los. Als "Corona-Pandemie" gehört der Virus schon zur alltäglichen Routine redaktioneller Arbeit. Da passiert auch mal, was nicht sein sollte: Es wird nicht präzise genug formuliert. Eine Leserin machte mich vor kurzem auf einen Satz aufmerksam, bei dem ich nicht weiß, wem ich die ungenaue Formulierung zuschreiben soll: dem Berichterstatter oder dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch.
Münch war in einem Artikel über Partnerschaftsgewalt zitiert worden ("Gewalt: Jeden dritten Tag eine Tote"/Main-Post-Titel vom 24. November): Er gehe dabei von einem erheblichen Dunkelfeld aus. Danach las man: "Aus diesem Grund ist es laut Münch auch schwer nachzuweisen, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf den Anstieg der Partnerschaftsgewalt hatte."
Bemerken Sie wie die aufmerksame Leserin die Ungenauigkeit in diesem Satz? In der Aussage Münchs über mögliche Verstärker dieser Gewalt geht es nämlich nicht - wie es geschrieben steht - um die Pandemie selbst, sondern um die Maßnahmen dagegen. Letztere sind eine Folge der Pandemie, nicht aber die berichtete Gewalt. Ich gehe davon aus, weil der gesamte Artikel es nicht anders zulässt, dass auch Münch mit seinen Worten nichts anderes gemeint hat als die Nebenwirkungen von Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, die zur Eindämmung der Pandemie beitragen sollen.
Ein Bewusstsein für Unterschiede ist wichtig
Zu Symptomen von Infektionen zählt jedenfalls nicht Partnerschaftsgewalt. Auch die Leserin verdeutlicht angesichts der sprachlichen Unschärfe, mit der Münch zitiert wird, dass die Pandemie nun nicht als Auslöser für verschiedenste Missstände hergenommen werden kann. Das tun vielleicht Verschwörungstheoretiker und Querdenker.
Die Leserin hält fest, es müsse ein Bewusstsein für Unterschiede entstehen. Stimmt. Genauigkeit ist Teil der journalistischen Sorgfalt. Deshalb war es gut, den Satz von Münch grundsätzlich anzusprechen - selbst wenn er im Kontext mit dem gesamten Beitrag kaum falsch zu verstehen ist. Bildlich gesprochen, sollte jedenfalls die journalistische Genauigkeit nicht auch von Viren befallen werden. Und dass Corona einen sensiblen Sprachgebrauch erfordert, das habe ich bereits im vergangenen Jahr hier beschrieben.
Sich in der Überschrift unwissend zu stellen, macht wenig Sinn
Auf einen weiteren Fall im Kontext von Corona, bei dem sich Sorgfalt im redaktionellen Arbeitsablauf verloren hat, macht ein anderer Leser aufmerksam. Mit Bestürzung habe er auf dem Titel eines Lokalteils am 26. November die Schlagzeile "Füllen Geimpfte die Intensivstationen?" gelesen. So dürfe sich eine seriöse Tageszeitung aber nicht zugunsten der Impfgegner und Verbreiter von "Fake News" verbiegen.
Tatsächlich stellt der Artikel fraglos und klar fest, dass der überwiegende Teil der Corona-Intensivpatientinnen und -patienten eines genannten Klinikums ungeimpft ist. Damit wird einem Gerücht widersprochen. Weshalb dann noch die Frage in der Überschrift? Macht es doch wenig Sinn, sich im Titel unwissend zu stellen, wenn es der Beitrag nicht hergibt.
Der Autor macht die Überschrift nicht selbst
Die Bearbeitungsstufen sorgen dafür, dass der Autor die Überschrift für die Zeitung, deren Layout er nicht kennt, nicht selbst macht, sondern nur vorschlägt. Den Fehler, der sich daraus ergeben hat, hat die zuständige Redaktion auch selbst schon erkannt. Man wird daraus lernen.
Im Gegensatz zur Schlagzeile in der gedruckten Zeitung, hält der Leser für zutreffend, was auf www.mainpost.de als Titel zu lesen ist und direkt vom Autor stammt: "Corona und Campus: Wer streut schon wieder haltlose Gerüchte". Ein Gerücht wird beseitigt. Die Überschrift in der Zeitung hat es sinnlos fragend noch einmal wiederholt.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Ähnliche Leseranwalt-Kolumne vom Mai 2020: "Medizinische Aussagen immer gut überprüfen"