Als guten Willen bewerte ich, was unter der Überschrift "Heftige Reaktionen auf den 'Samstagsbrief': Die 3 Thesen zum Heizungstausch im Faktencheck" zu lesen ist. Dieser Check hatte sich für den heftig diskutierten Samstagsbrief - der Autor nennt das "donnernden Widerhall" aus der Woche zuvor "Bleiben Sie standhaft im Heizungsstreit mit den Grünen, Herr Lindner" offensichtlich aufgedrängt. Passagen darin wurden missverstanden und konnten missverstanden werden oder haben sich als falsch herausgestellt.
Der Beitrag war geeignet, bestehende Unsicherheiten zu verstärken. Aber auch im notwendigen Faktencheck erkenne ich Schwächen.
Falsche Behauptung zur Meinungsäußerung verklärt
Im Titel ist von "Faktencheck" die Rede, aber auch - wie danach im Text - von "Thesen". Thesen sollten zwar in aller Regel auf Fakten basieren, sind aber letztlich Meinung. Und zu Thesen verklärt sind drei nachprüfbare Sachverhalte aus dem Samstagsbrief, von denen einer nun gar als falsch gecheckt worden ist.
Klar bleibt grundsätzlich: Konkrete Sachverhalte sind weder Thesen noch Meinung! Denen liegen sie aber zugrunde. Diese Erklärung ist wichtig, auch im vorliegenden Fall.
Beispielhaft dafür greife ich nur eine Passage aus dem Brief an Lindner heraus: "Noch bis vor Kurzem haben Menschen Ölheizungen gegen Gasheizungen getauscht, der Staat hat das gefördert, um ihnen jetzt mitzuteilen: Da müssen jetzt Stromfresser rein, auch Wärmepumpen genannt."
Das ist keine These, sondern ein nachprüfbarer Vorgang
Die zitierte Passage enthält die Behauptung, der Staat habe aktuell mitgeteilt, dass jetzt trotz "neuer" Gasheizungen, Wärmepumpen angeschafft werden müssen. Nachprüfbar gab und gibt es diese Mitteilung so nicht. Damit ist die Behauptung falsch. In der Sache berichtigt das aber der Check (unter Punkt 3). Das ist gut. Redlich und verpflichtend wäre allerdings eine noch transparentere Darstellung gewesen.
Was als Faktencheck angeboten ist, hätte schon im Samstagsbrief recherchiert sein müssen
Redaktionell hätte man sich auch sich selbst eingestehen und ehrlich mitteilen müssen: Was wir nun als Faktencheck anbieten, hätte schon eine Woche zuvor für den Samstagsbrief recherchiert sein können, ja müssen. Vielleicht hätte das diese Zeilen hier überflüssig gemacht.
Ein Anspruch an die Korrektheit berichteter Fakten war also zunächst unerfüllt geblieben. Der gilt auch für die, auf die Meinungen gestützt werden. Eine Folgerung von mir: Was hinterher als "Faktencheck" erschien, wäre korrekterweise besser als "Klarstellung" und als "Berichtigung" gekennzeichnet und getextet gewesen.
Ein Mangel, welcher der angekündigten Selbstreflexion anhaftet
Zu Klarstellungen oder Berichtigungen nach falsch oder missverständlich dargestellten Sachverhalten gehört die Bitte um Entschuldigung. Die liegt hier nicht vor. Ein Mangel, welcher der im Text verkündeten kritischen Selbstreflexion anhaftet. Darüber könnte der Eindruck aufkommen, ein falscher Fakt solle zu einer These gemacht werden, mit der man sich eben geirrt habe.
Falsche Fakten schwächen damit verknüpfte Meinungen
Dass Samstagsbriefe als direkte, pointierte, zugespitzte, mal emotionale, scharfzüngige und mal launige, sehr persönliche Meinungsstücke der jeweiligen Autoren verkündet werden, ändert nichts daran, dass darin Behauptungen von Fakten und Vorgängen (Tatsachen) stimmen müssen. Das sagt der Autor selbst auch. Ich füge aber hinzu: Thesen sind in letzter Konsequenz Meinungen, die es in sich tragen, dass man sich damit irren kann und darf. Sie stehen zur Diskussion. Das gilt nicht für Behauptungen, die ihnen zugrunde gelegt werden. Stimmen die nicht, schwächt das die damit verknüpfte Meinung und kann zu Lasten von Glaubwürdigkeit gehen.
Keine Meinungsäußerung zum Heizungsstreit
Kurzum: Pressefreiheit trägt nicht nur Freiheiten in sich, sondern auch Verpflichtungen. Weil die seltener deutlich sichtbar gemacht werden, war das nachträglich auch eine medienethische Anmerkung zum Welttag der Pressefreiheit am 3. Mai. Eine Meinungsäußerung zum politischen Heizungsstreit, der dem Samstagsbrief an Minister Lindner zugrunde gelegen hat, ist es nicht.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Frühere ergänzende Leseranwalt-Kolumnen:
2012: "Auch wenn Leser mal Klartext schreiben müssen Tatsachen nachweislich wahr und richtig sein"
2016: "Der missverständliche Samstagsbrief"
2017: "Eine Meinung ist nicht mit Beweismitteln auf ihre Richtigkeit zu prüfen"
2017: "Die Herausforderung: Vom Streit zum Dialog"
2017: "Ein Eingeständnis wäre gut gewesen"
2021: "Ein journalistisches Bekenntnis zum Lockdown ist keine Meinungsmache"