Diskussionswürdig sind Polizeimeldungen, die Personen mit einem Verdacht belasten. Das zeigt eine veröffentlichte Nachricht, mit deren Wirkung sich die Redaktion kontrovers auseinandergesetzt hat, weil sie kein Einzelbeispiel ist. Es war nämlich die glaubhafte Botschaft angekommen, dass wohl ein Mensch, der sich falsch verdächtigt sieht, unter Folgen einer solchen Meldung leidet.
Der Name des Autofahrers bleibt in dieser Meldung ungenannt. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber dennoch möglich, dass über die zweifache Altersnennung, den konkreten Einsatzort und die Zeit irgendjemand meint, ihn zu erkennen. Allzu leicht könnten dann Gerüchte entstehen, die den Fahrer ohne jeden Nachweis gleich als drogensüchtig abstempeln. Davor sollte er geschützt werden.
Verantwortung trägt die Redaktion: Besser nicht verbreiten
Klar ist: Den Beitrag in dieser Zeitung verantwortet die zuständige Redaktion, nicht die Pressestelle der Polizei, die die Pressemitteilung dazu verschickte und die Meldung online veröffentlicht hat. Das Internetportal der Polizei, das Einsätze veröffentlicht, wird von der Rechtsprechung nicht wie Zeitungen behandelt. Juristen sehen im öffentlichen amtlichen Auftritt der Polizei im Gegensatz zu Zeitungen noch kein Massenmedium.
Aus redaktioneller Verantwortung heraus sollten nicht erwiesene "drogentypische Ausfallerscheinungen" in der Zeitung und ihren Online-Angeboten ob ihrer möglichen Folgen für Betroffene besser nicht verbreitet werden. Die Polizei, genannt als Quelle, verstärkt die Wirkung sozusagen noch amtlich. Eine Meldung wäre nur zu rechtfertigen, hätte der Betroffene die Drogeneinnahme schon vor Ort eingestanden.
Für was Erfahrungen der Polizei nicht ausreichen
Erfahrungen der Polizei stelle ich nicht in Frage. Aber für eine glaubwürdige Quelle, die diagnoseartig "drogentypisches Verhalten" öffentlich verbreitet, reichen sie nicht aus. Umgekehrt würden Ärzte für Unfallverletzungen auch nicht "missachtete Vorfahrt" diagnostizieren. Polizeibeamte haben zwar schon mal gerötete Augen, verzögerte Pupillenreaktion, Sprechpausen und verwaschene Aussprache als drogentypische Merkmale gekennzeichnet. Das Vorliegen solcher Anzeichen sind Verdachtsmomente, die den Polizei-Einsatz rechtfertigen. Aber sie eignen sich nicht dafür, daraus eine belastend wirkende Verdachtsbotschaft für die Öffentlichkeit zu machen. Zu leicht können sie dort falsch ausgelegt werden.
Nachrichten nicht unvollendet stehen lassen
Im zitierten Fall wäre es ausreichend gewesen, nur auffälliges Verhalten im Verkehr zu berichten. Das hätte dann wegen Geringfügigkeit ganz wegbleiben und nur in einer Einsatz-Statistik erscheinen können. Sinnvoll ist es ohnehin, einen solchen Einzelfall erst zu verbreiten, wenn das Ergebnis des Drogentests vorliegt. Doch für die Meldung dieser Nachricht an die Presse ist die Polizei dann nicht mehr zuständig.
Somit erfährt die Redaktion nichts. Es drohen einmal verbreitete Vorwürfe auch an Unschuldigen mindestens moralisch hängen zu bleiben. Es sei denn, der Fall käme vor Gericht oder die Redaktion würde die journalistische Verpflichtung erkennen, begonnene Nachrichten nicht unvollendet stehen zu lassen. Falsch verdächtigten Personen wünsche ich Stärke, Geduld und Vertrauen.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
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2018: "Lehren für den Journalismus"
2018: "Verharmlosende oder spaßige Überschrift vermeiden"
2020: "Über einen Anspruch der Presse an die Polizei"
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2021: "Wider die Windschutzscheiben-Perspektive in Polizeimeldungen"