Forderungen nach Diversität werden oft zu einer der Zukunftsfragen für Medien erhoben. Denn das gesamte Publikum erreicht man am besten, wenn auch in Redaktionen alle Gesellschafts- und Interessensgruppen vertreten sind, darunter Zuwanderinnen und Zuwanderer und diverse Geschlechtsidentitäten.
Das ist nachzuvollziehen, trotz der Schwierigkeiten, das in lange bestehenden Redaktionen umzusetzen. Darauf weist auch die Untersuchung des Netzwerks der Neuen deutschen Medienmacher:innen mit dem Titel "Viel Wille, kein Weg" im Jahr 2020 hin. Die Organisation, die sich für Vielfalt stark macht, zeigt auch Wege auf. Ihr Aktionsmotto: "Guter Journalismus ist vielfältig".
Arbeiterkinder werden oft nur durch glückliche Fügungen Journalisten
"Es kann nicht bunt genug sein", hat dazu Helmut Burlager (Jever), Leser-Ombudsmann und zuvor Chefredakteur, in seiner Kolumne geschrieben. Er sei Arbeiterkind und verdanke es einer glücklichen Fügung, dass er Redakteur wurde. Weil das für mich ebenso gilt, habe ich seinen persönlichen Hinweis übernommen.
Solche Fügungen sind freilich selten gewesen und geblieben. Auch aktuell haben es junge Menschen aus ärmeren Haushalten schwer, in den Journalismus zu kommen. Das ist belegbar. So wird die personelle Mischung von Redaktionen aktueller Demografie oft nur unzureichend gerecht. Da sollten Verantwortliche nicht auf glückliche Fügungen warten.
Der Beruf des Journalisten sollte für alle zugänglich bleiben
Soziale Herkunft spielt bei Einstellungen natürlich keine Rolle. So gibt es auch keine Zahlen dazu für diese Redaktion. Zur Auslese werden aber zuvor die Wege zu der oft als Eingangsvoraussetzung geforderten hohen formalen Bildung. Die können sich nicht alle leisten.
Jedoch soll im Sinne von Pressefreiheit, die für alle da ist, Journalismus ein offener Beruf sein. Das heißt, er sollte für alle zugänglich bleiben. Wenn einschlägige Fähigkeiten und Tätigkeiten nachgewiesen werden, dann auch mal ohne Abitur. Die Eignung kann zum Beispiel bei bezahlten Praktika in der Redaktion sichtbar gemacht werden. Es wäre freilich ein Missverständnis, wenn jemand glaubt, dass das gegen akademische gebildete Bewerberinnen und Bewerber spricht. Das wäre ein Problem. Denn es ist wichtig, dass auch sie zu Tageszeitungen finden.
Neuen Medienmacher:innen: "Mehr Vielfalt für alle schaffen"
Die Neuen Medienmacher:innen kritisieren im Hinblick auf Vielfalt besonders: "Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland wird in deutschen Medien vernachlässigt oder ausgegrenzt, dazu gehören Frauen, Menschen mit Behinderung oder mit Einwanderungsgeschichte, BPoC oder LSBTIQ*. Zudem seien sie in Redaktionen meistens und in Führungspositionen immer unterrepräsentiert."
BPoC steht für Black and People of Color.
LSBTIQ* ist das Akronym für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen. Das Sternchen soll alle darstellen, die dazu gehören, aber nicht explizit genannt werden, wie zum Beispiel Personen, die asexuell, pansexuell, agender oder nicht-binär sind.
Weiter heißt es bei den Neuen Medienmacher:innen: "Wenn Medien in den kommenden Jahren anschlussfähig bleiben wollen, sollten sie also mehr Vielfalt für alle schaffen." In einem Leitfaden empfiehlt das Internationale Journalisten-Netzwerk (ijnet) unter anderem: Wenn Sie über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt berichten, sollten Sie die Perspektiven von geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten einbeziehen. LGBTQI* Menschen wissen viel mehr über die Themen, die ihr tägliches Leben betreffen, als jeder Experte oder Bericht von außen jemals erfassen könnte."
Deutliche Fortschritte bei der Main-Post: Mehr Frauen in verantwortlichen Positionen
Frauen wünschen sich mehr weibliche Perspektiven im Journalismus, weil zum Beispiel in Kriegsberichten alte Rollenmuster verstärkt werden: der Mann in Uniform, Frauen und Kinder auf der Flucht. "Die weibliche Perspektive ist vielfältiger", sagt der Journalistinnenbund.
Deutliche Fortschritte meldet immerhin die Main-Post beim jahrzehntelang zu schwachen Anteil von Frauen in Führungspositionen. In dieser Redaktion waren es 2016 sieben Prozent. Heute sind 52 Prozent der verantwortlichen Positionen weiblich besetzt, eine in der fünfköpfigen Chefredaktion. Dass seit langem mehr Bewerberinnen als Bewerber für eine journalistische Laufbahn gemeldet werden, kommt der Entwicklung entgegen, die in die andere Richtung kippen könnte. Die Main-Post bietet derzeit 115 journalistische Stellen in der Redaktion und beschäftigt dort insgesamt 170 Köpfe.
In einer zweijährigen Ausbildung befinden sich derzeit sechs Volontärinnen und sechs Volontäre, mit guten Chancen, danach in der Redaktion übernommen zu werden.
Bewerbungen mit ausländisch klingende Namen machen neugierig
Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund, ohne Sprachbarrieren, sind seit langem in den Main-Post-Redaktionen vertreten. Ausländisch klingende Namen in Bewerbungen machen weiterhin neugierig.
Solche divers-kulturellen Bewerberinnen und Bewerber schaut sich Julia Haug, zuständig für redaktionellen Nachwuchs, gerne an. Persönliche und fachliche Qualifikation stehen bei allem Streben nach Vielfalt natürlich im Vordergrund, nicht etwa Eigenschaften aus der Intims- und Privatsphäre. Die darf jede und jeder für sich behalten. Sexuelle Vielfalt zum Beispiel ergibt sich in der Redaktion eher indirekt, durch eine tolerante und türöffnende Ansprache, sagt Julia Haug.
Eine Kluft zum Publikum sollte nicht entstehen
Unabhängig von fehlender Vielfalt ist klar: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen allen Menschen professionell auf Augenhöhe begegnen können. Das gilt auch dann, wenn sie, wie oft beklagt, sich selbst schon in allzu gutbürgerlichen Kreisen bewegen sollten und beruflich viel bei gesellschaftlichen und politischen Eliten recherchieren. Eine Kluft zum Publikum sollte nicht entstehen. Dafür sollte die solide Aus- und Weiterbildung im Journalismus sorgen.
Für die eigene Zukunft bleibt es ohnehin eine Herausforderung, niemanden aus den Augen zu verlieren, verlorene Gruppen zurückzuholen und außerdem junge Menschen für den Journalismus im eigenen Medium zu gewinnen. Immerhin hat man bei den regionalen und lokalen Angeboten etwas zu bieten.
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V
Frühere, das Thema ergänzende Leseranwalt-Kolumnen:
2012: "Meinungsmonopole sind nicht möglich: Jeder kann im Netz Beiträge veröffentlichen"
2021: "Was ein doppelt erschienener Leitartikel zeigt"
2021: "Meine parteiische Stellungnahme zum Thema Gendern"