"Die Zeitung ist halbvoll mit Werbung, dafür gebe ich keine 400 Euro aus", lässt mich Herr O. B. in seiner Zuschrift wissen. "Halbvoll – schön wär's", antworte ich darauf. Und Herr E. K. ärgert sich über "die viele Reklame". Sein Schild am Briefkasten, "keine Reklame", könne er wohl entfernen. Nein, muss er nicht. Was mit der Zeitung kommt, sollte er aus guten Gründen akzeptieren.
Zeitungsleser überraschen mich immer wieder mit solchen Anmerkungen. Aber ich darf nicht erwarten, dass alle über die schwierige Situation für Zeitungsunternehmen oder deren aktuelle wirtschaftliche Lage gut informiert sind. Mängel beim Medienwissen, bei Nachrichten- und Informationskompetenzen lässt aktuell schließlich auch eine repräsentative Studie erkennen. Deshalb musste ich dazu schon viele E-Mails beantworten.
Früher inserierten viel mehr Werbekunden in Zeitungen
Also schreibe ich nicht nur für die Herren O. B. und E. K.: Werbung bleibt unverzichtbar. Viel sichtbarer war sie aber früher, als noch richtig satt in Zeitungen inseriert wurde. Zu viele einstige Werbekunden bevorzugen nun aber längst andere Plattformen.
Deshalb, lieber Herr O. B., kann im Medienhaus und in der Leserschaft bestenfalls davon geträumt werden, dass die Zeitung halbvoll mit bezahlter Werbung, sprich mit Anzeigen, erscheint. Das würde nämlich auch auf alle Abonnements kräftig einzahlen. Das tun immerhin inzwischen eine Reihe neuer Geschäftsfelder des Unternehmens, die auch zeigen, wie die eigene Zeitung nutzbringender Werbeträger sein kann.
Gravierender Einbruch an Werbe-Erlösen
Fakt ist aber: Von den zwei Dritteln, mit denen Werbe-Erlöse einst zur Wirtschaftlichkeit von Zeitungen beigetragen haben, ist gerade mal ein Drittel übrig geblieben. Ein gravierender Einbruch. Dabei sind erhebliche Einbußen in Corona-Zeiten nicht berücksichtigt. Denn alleine in den ersten beiden Monaten dieses Jahres sind die Werbeeinnahmen gegenüber den noch coronafreien Vergleichsmonaten von 2020 um 30 Prozent eingebrochen. Hier ein Einblick in die wirtschaftliche Lage der Main-Post vom Dez. 2020.
Unverändert gilt: Abonnements müssten viel teurer werden, gäbe es keine Werbung. Und unbestritten ist auch: Der Verkauf der Zeitung und ihrer journalistischen Angebote gewinnt an Bedeutung. Das ist so, obwohl das solide Fundament, die verkaufte Auflage, schon länger eine Erosion erlebt. Und die Leserschaft bemerkt: Abo-Preiserhöhungen müssen regelmäßig Verluste auffangen. Ob solcher Signale und des hohen Altersdurchschnitts der Leserschaft von gedruckten Zeitungen, finden sich schon Wissenschaftler, die der Zeitung das Aussterben vorausberechnen.
Unverzichtbaren Journalismus finanzierbar halten
Dem steuert natürlich nicht nur dieses Medienhaus mit Macht entgegen. So führen längst alle auch digital ein munteres Leben. Dort findet sich die gewohnte Zeitung, abgebildet als ePaper, dazu vielfältiger Online-Journalismus, auch in bewegten Bildern. Unübersehbar und notwendig bleibt freilich auch dort Werbung. Überhaupt gelten alle Bestrebungen dem Ziel, den für eine demokratische Gesellschaft unverzichtbaren Journalismus finanzierbar zu erhalten. Ganz gleich, auf welchen Wegen er zu den Menschen gelangt. Marktdaten dazu finden sie hier. Und die Zeitungsqualitäten 2021 hier.

Ich bitte, in mir nun keinen Marketing-Mitarbeiter zu vermuten. Ich habe auch nicht die Absicht zu einem Influencer oder Schleichwerber zu werden. Als Leseranwalt habe ich nur das Gefühl, dass es mitunter solcher Erklärungen bedarf.
So gebe ich abschließend noch einen Rat an Werbekritiker: Sehen Sie - wie viele andere -Werbung als Information oder erkennen Sie darin einfach mal den aktuellen Zeitgeist.
Anton Sahlender, Leseranwalt.
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute
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