Würzburg

Leseranwalt: Was nach verletztem Infektionsschutz schützt

Wer gegen das Infektionsschutz-Gesetz verstößt, muss normalerweise keinen Medienpranger befürchten. Warum der Presserat gegen bild.de eine Rüge ausgesprochen hat.
Obwohl das Ermittlungsverfahren in der Sache eingestellt wurde, mussten sich Gesundheitsminister Jens Spahn und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier nach einem Besuch der Uniklinik Gießen im April 2020 - schon ob ihrer Bekanntheit und Vorbildfunktion - die Berichte über diese Aufzugfahrt mitten in der Corona-Krise gefallen lassen.
Foto: Bodo Weissenborn/Hessischer Rundfunk/dpa | Obwohl das Ermittlungsverfahren in der Sache eingestellt wurde, mussten sich Gesundheitsminister Jens Spahn und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier nach einem Besuch der Uniklinik Gießen im April 2020 - schon ...

Die Frage, wie über Personen, die gegen das Infektionsschutz-Gesetz (IfSG) verstoßen, berichtet werden darf, ob mit Namen oder sogar mit Bild, kann man sich in diesen Zeiten stellen. Meldungen über solche Gesetzesverstöße, meist dem Polizeibericht entnommen, häufen sich. Fast immer heißt es, dass die Verstöße der Beschuldigten von den Beamten "zur Anzeige gebracht" werden. Für Journalisten bedeutet das, es handelt sich noch um eine Verdachtsberichterstattung. Dieses Stadium rechtfertigt in den meisten Fällen noch keine Identifizierung der Betroffenen.

Frau war für einen "erweiterten Personenkreis" erkennbar

Ethische Grenzen der Berichterstattung macht eine der Rügen deutlich, die der Deutsche Presserat gegen bild.de ausgesprochen hat. Unter der Überschrift "Mindestens drei Menschen positiv getestet", hatte die Online-Ausgabe des Boulevardblattes berichtet, dass eine Frau verdächtigt werde, mehrere Personen mit dem Coronavirus infiziert zu haben. Dazu gezeigt wurde das verpixelte Foto dieser angeblichen "Superspreaderin" (Superverbreiterin), ihr Vorname genannt und der erste Buchstabe des Nachnamens.

Die Frau war damit für einen "erweiterten Personenkreis" erkennbar, so die Formulierung der Presseräte in ihrer Begründung der Rüge. Aber an ihrer Identität habe kein "öffentliches Interesse" bestanden, zumal zum Zeitpunkt des Berichtes noch nichts erwiesen gewesen sei. Weil die Frau selbst erkrankt war, war ihre Erkennbarkeit ein weiterer Verstoß gegen den Pressekodex, Richtlinie 8.6.. Danach soll in der Regel nicht ohne Zustimmung der Betroffenen über deren Erkrankungen berichtet werden. Die sind Teil der Privatsphäre.

Ausnahmen bei Prominenten mit Vorbildfunktion

Wie aber verhält es sich, wenn ein Vergehen gegen das IfSG schon erwiesen ist? Auch danach müssen Betroffene gemeinhin nicht befürchten, dass über sie identifizierend berichtet und damit eine Prangerwirkung hergestellt wird. Das wäre eventuell bei Verstößen von großer Tragweite oder unter Aufsehen erregenden Umständen denkbar. Erkennbarkeit kann auch bei Persönlichkeiten in Erwägung gezogen werden, die im Lichte der Öffentlichkeit stehen. Gerade bei solchen, von denen man eine Vorbildfunktion erwartet: etwa Politikern oder sehr bekannten Medizinern - und das sogar schon bei einem gut begründeten Verdacht. Allerdings darf es gerade bei erkennbaren Personen nie zu einer Vorverurteilung kommen. Aber Kritik ist in allen Fällen erlaubt. 

In Ziffer 8 des Pressekodex heißt es etwa: "Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein." 

Alle hier aufgezeigten Möglichkeiten des journalistischen Umgangs mit vermuteten und tatsächlichen Verstößen gegen das Infektionsschutz-Gesetz, das sollten Journalisten bedenken, könnten auch ein schmerzliches juristisches Nachspiel haben. Dann, wenn Veröffentlichungen Persönlichkeitsrechte verletzen, weil sie sich über die informationelle Selbstbestimmung oder das Recht am eigenen Bild hinwegsetzen. Diese Rechte können von Betroffenen eingeklagt werden. In der Beurteilung dieser Fälle können sich Presseräte und Richter nahe kommen, was man für die Konsequenzen aber nicht unbedingt sagen kann.

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Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.

 
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